In unserer Dialog-Reihe stehen Ihnen echte Experten Rede und Antwort. Das Konzept: Fakten aus erster Hand, ein offenes Gespräch, klare Antworten mit Blick auf die Wissenschaft und über den Tellerrand hinaus – für alle, die mehr über Ernährung wissen möchten. Den Talk gibt es in loser Folge zu aktuellen Themen: von Übergewicht über Klima und Konsum bis zu Mythen, Trends und Mode-Diäten.
Inhalt
Folge 2 vom 29.9.2022
Steigende Preise, Dürren und Lieferengpässe machen längst deutlich: Wir haben nichts zu verschwenden. Trotzdem werden in Deutschland jedes Jahr rund 7 Mio. Tonnen Lebensmittel entsorgt, die noch verwertbar wären. Darüber sprachen wir am 29.9. im Live-Talk, dem Beitrag des KErn zur Aktionswoche „Zu gut für die Tonne – Deutschland rettet Lebensmittel!“.
Zu Gast war Ernährungswissenschaftler Dr. Malte Rubach, bis 01.10.2022 Leiter des Bereichs Wissenschaft am Kompetenzzentrum für Ernährung (KErn). Er beschäftigt sich seit 2012 am Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mit den Themen „Lebensmittelverschwendung vermeiden“ und „Lebensmittelwertschätzung“. Seit 2016 koordiniert er das Bündnis „Wir retten Lebensmittel!“ in Bayern.
Foto: Ingolf Hatz
Moderation: Johanna Bayer, Wissenschaftsjournalistin und Redakteurin KErn, Bereich Wissenschaft
Nachlese zum Thema „Lebensmittelverschwendung: Was können wir jetzt tun?“
mit Dr. Malte Rubach, Ernährungswissenschaftler und Nachhaltigkeitsexperte
Moderation: Johanna Bayer, KErn Bayern
Im Gespräch mit dem Ernährungsexperten Dr. Malte Rubach ging es darum, wie die Zahlen wirklich aussehen. Die Erfassung von Lebensmittelverlusten, die 2019 vom Thünen-Institut durchgeführt wurde, ergab: In Deutschland werden jährlich rund 12 Mio. Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Pro Kopf sind das Lebensmittelverluste von 85 kg/Jahr. Runtergerechnet auf die vermeidbaren Lebensmittelverluste pro Tag entspricht das laut Dr. Rubach ungefähr einem mittelgroßen Ei oder einem kleinen Apfel.
Auch wenn das im ersten Moment nicht nach viel klingt, summieren sich diese entsorgten Reste deutschlandweit auf jährlich insgesamt 7 Mio. Tonnen vermeidbare Lebensmittelverluste, so Moderatorin Johanna Bayer. Ausgerechnet die privaten Haushalte werfen mit Abstand am meisten weg: Sie sind mit 55 % für den Großteil aller weggeworfenen Lebensmittel verantwortlich, der Handel hingegen nur für 4 %.
Abb. 1: Die Masse macht`s: Private Haushalten werfen in Summe am meisten weg. Quelle: Thünen-Institut 2019 / 2015, Grafik: Eva Kohl/KErn
Verluste reduzieren durch Planung
Wie das sein kann, erklärt Dr. Malte Rubach: In Handel und Herstellung unterliegen Lebensmittel, bevor sie im privaten Haushalt landen, wirtschaftlichen Prinzipien. So minimiert der Handel Verluste sehr effizient durch Planung und Technik.
Abb. 2: Vom Acker bis zum Teller: Stufen der Wertschöpfungskette. An jeder Station fällt Verlust an. Grafik: Eva Kohl/KErn
Anders sieht es in privaten Haushalten aus. Dort fehlt laut Rubach oftmals die richtige Planung, ein Haushaltstagebuch beispielsweise werde selten geführt. Unter den Lebensmitteln im Haushalt machen Obst und Gemüse mit 35–50 % den größten Teil der weggeworfenen Lebensmittel aus.
Abb. 3: Immerhin: Was teuer ist, landet seltener im Müll. Trotzdem werfen private Haushalte noch zu viel weg. Quelle: https://www.welthungerhilfe.de/lebensmittelverschwendung
Das meiste Essen wird entsorgt, weil zu viel eingekauft und zu wenig davon gegessen wird
„Doch wie setzen wir den Hebel an, damit sich etwas ändert?“ hakte Moderatorin Johanna Bayer nach. Dr. Rubach führte an, dass Politik, Industrie und Bevölkerung unterschiedliche Wege gehen müssten: Neben technischen Optimierungen, besseren Schnittstellen und ausreichend Kommunikation bei den Händlern, Herstellern und Landwirten sei der größte Hebel die Sensibilisierung in Haushalten und bei Privatpersonen. Denn dort ist noch eine Menge aufzuholen. Die Gesellschaft für Konsumforschung hat bayerische Haushalte befragt und festgestellt: An der Haltbarkeit liegt es nicht. Dass das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) abgelaufen ist, stellt nur in 5 % der Fälle den Grund für das Wegwerfen: Das meiste Essen wird entsorgt, weil zu viel eingekauft und zu wenig davon gegessen wird.
Grund dafür sei laut Rubach mangelnde Planung beim eigenen Bedarf: Wenn wir einkaufen, ohne die Lebensmittel in absehbarer Zeit zu benötigen, seien das „irrationale Handlungsarten, die man nur durch rationale Handlungsmotivation kompensieren kann. Im Alltag sind wir aber keine rational handelnden Wesen, sondern oft impulsgesteuert“, so Rubach.
Gemeinsam Lebensmittelverschwendung bekämpfen
Im Verbund mit anderen Menschen zu handeln, bringe die nötige Motivation, rationalere Entscheidungen zu treffen. Deswegen, so Rubach, sei von Seiten der Bayerischen Staatsregierung geplant, gemeinsam mit den Kommunen einerseits und den Akteuren im Verbund andererseits zu versuchen, Verbraucher vor Ort in Gruppen zusammenzubringen und das Thema Lebensmittelverschwendung anzugehen. Verbraucher sollen dann mit Tools und Wissen für mehr Wertschätzung im Umgang mit Lebensmitteln ausgestattet werden. Der Gedanke dahinter: Klein anfangen und (hoffentlich) im Großen enden.
Weitere Informationen darüber, wie wir mit unserer Ernährung globale Ressourcen schonen können, gibt es im Beitrag zur Planetary Health Diet
Gesund und nachhaltig essen mit Fleisch – geht das?
Folge 1 vom 7.07.2022
In der ersten Folge des Faktenchecks Ernährung drehte sich alles um den weltweiten Fleischkonsum: Ernährungsphysiologie, Nachhaltigkeit und Klimaschutz kamen in der engagierten Diskussion zur Sprache. Das Grußwort zur Eröffnung der Reihe sprach Staatsministerin Michaela Kaniber in einer Videobotschaft, mehr dazu unten.
Gesprächspartnerin war Prof. Dr. Hannelore Daniel, international renommierte Ernährungsphysiologin, Forscherin und Expertin für personalisierte Ernährung, Stoffwechsel und Biochemie der Ernährung. Sie hält weltweit Vorträge und ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften Leopoldina sowie nationaler und internationaler Gremien. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Verdienstorden des Freistaats Bayern. Prof. Dr. Daniel berät nach ihrer Emeritierung weiterhin Institutionen und Unternehmen.
Foto: Hannelore Daniel
Moderation: Johanna Bayer, Wissenschaftsjournalistin und Redakteurin KErn, Bereich Wissenschaft
Nachlese zum Thema „Gesund und nachhaltig essen mit Fleisch – geht das?“
Professor Daniel brachte in der ersten Folge „Faktencheck Ernährung“ das viel diskutierte Thema Fleisch zur Sprache: Die Effektgrößen und der Zusammenhang zwischen dem Fleischkonsum und Gesundheit seien im Vergleich zu Rauchen relativ gering, allerdings dosisabhängig, nur äußerst schwach ausgeprägt und beziehen sich lediglich auf rotes Fleisch und prozessierte Wurst- und Fleischwaren. Professor Daniel riet im Live-Talk daher zu einem qualitativ hochwertigen Fleischkonsum, der aber durchaus reduziert und moderat ausfallen solle. Ein absoluter Verzicht und Umstieg auf ausschließlich vegane Kost ist dabei jedoch nicht notwendig, eine Mischkost nach dem Vorbild der „Mediterranen Ernährung“ mit wenig Fleisch und Fisch sowie viel Obst, Nüssen, Hülsenfrüchten und Gemüse sei aus ihrer Sicht eine sehr gute Mischung.
Auch der Vergleich zwischen einem Flug nach Sydney, der vergleichsweise so viel CO2 produziere wie 30 Jahre durchschnittlicher Fleischkonsum in Deutschland, brachte das Thema Nachhaltigkeit bildhaft auf den Punkt: „Die großen Effekte müssen aus anderen Bereichen kommen und vor allem global betrachtet werden.“ Entsprechend spielen für einen nachhaltigeren Konsum die Regionalität, Produktion und Logistik eine viel entscheidendere Rolle, da die dabei entstehenden Emissionen nicht zwischen verschiedenen Lebensmittelarten unterscheiden.
Die Pilotfolge des „Faktencheck Ernährung“ startete am 7. Juli 2022 live mit Publikum: Insgesamt über 60 Interessierte hatten sich als aktive Fragesteller oder im öffentlichen Stream zugeschaltet.