Jede Menge hochverarbeitete Lebensmittel sind auf dem Bild zu sehen, von Pommes über Burger bis zu Donuts, Muffins und Popcorn.

Hochverarbeitete Lebensmittel (UPF)

Die Debatte um hochverarbeitete Lebensmittel

In den letzten Jahren sind zahlreiche Studien erschienen, die zu belegen scheinen, dass hochverarbeitete Lebensmittel (bzw. UPF für ultra-processed foods) uns krank machen. Kritiker sehen Verarbeitung aber nicht immer als etwas Schlechtes an und argumentieren, das eine Korrelation noch keine Kausalität darstellt. Hier kommen Menschen zu Wort, die sich aus verschiedenen Perspektiven mit hochverarbeiteten Lebensmitteln beschäftigen.


Inhalt


Sind Verarbeitung von und Zusatzstoffe in Lebensmitteln immer schlecht?

Professorin Ute Weisz, TU München

Professor Dr. Daniel Wefers

Professor für Lebensmittelchemie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Foto: Maike Glöckner, MLU

Es gibt über 300 Substanzen, die in der EU als Zusatzstoff zugelassen sind. Diese sind unglaublich vielfältig und kommen teilweise auch natürlich in Lebensmitteln vor, zum Beispiel Glutamat, Ascorbinsäure oder auch verschiedene Pflanzenfarbstoffe. Es ist völlig unplausibel und auch in keiner Weise belegt, dass die alle schlecht sein sollen – dann könnten wir so ziemlich gar nichts mehr essen. Es gibt Fälle, in denen eine Substanz, die einem Lebensmittel in isolierter Form zugesetzt wird, dieses zu einem hochverarbeiteten Produkt nach NOVA 4 macht. Wenn dieselbe Substanz in einer Zutat enthalten ist, wird es NOVA 3, obwohl im Endprodukt dieselben Stoffe vorliegen. (NOVA ist aktuell die geläufigste Klassifizierung von hochverarbeiteten Lebensmitteln – siehe Forschungsstand.) So führt der Zusatz des Farbstoffs aus Rote Bete (Betanin, E162) zu einem hochverarbeiteten Lebensmittel – der Einsatz von Rote-Bete-Saft nicht, obwohl er hohe Mengen des Farbstoffs enthält.

In der Klassifizierung geht es nicht um die molekulare Zusammensetzung der Lebensmittel, sondern nur um Verarbeitung. Haushaltszucker wird als NOVA 2 eingruppiert und ermöglicht die Herstellung von NOVA-3-Lebensmitteln. Wenn ich Zucker aber in seine beiden Bausteine aufspalte und Invertzucker verwende, setze ich gleich viel Zucker zu, erhalte aber ein NOVA-4-Lebensmittel. Auch industriell hergestelltes Vollkornbrot findet sich in NOVA 4, dabei muss es nicht ungesund sein; genauso wie manche Ersatzprodukte, die verarbeitetes Fleisch ersetzen. NOVA hat kein Benefit – es bewirkt nur, dass einige gesunde, erschwingliche und lang haltbare Produkte vermieden werden. Und es verhindert, dass die Leute sich mit der Zusammensetzung ihrer Lebensmittel auseinandersetzen. Es ist nie gut, wenn man einfache (und im Falle von NOVA schlecht definierte) Parameter hat und dann pauschal in „gut“ und „schlecht“ unterteilt.

Warum sehen Sie die Bewertung von hochverarbeiteten Lebensmitteln kritisch?

Weil eine sehr bunte Mischung von Lebensmitteln in einen Topf geworfen und zusammen beurteilt wird, obwohl sie von der Zusammensetzung her völlig unterschiedlich sind. Für das NOVA-System wurde zudem relativ willkürlich festgelegt, welche Herstellungsweise „natürlich“ ist und welche nicht. Das sagt aber im Grunde nichts darüber aus, wie ein Lebensmittel zusammengesetzt ist und wie gesund es ist.

Ich finde es hochproblematisch, dass die Verarbeitung losgelöst von der chemischen Zusammensetzung betrachtet wird. Proteinisolate sind zum Beispiel ein Kriterium für NOVA 4. Aber Käse ist NOVA 3 – obwohl er oft industriell hergestellt ist und durch eine Isolierung bestimmter Milchproteine (Caseine) mithilfe von Enzymen und/oder Säure gewonnen wird. Dadurch, dass bei NOVA 4 tendenziell mehr ungesunde Lebensmittel enthalten sind, werden in Beobachtungsstudien Korrelationen festgestellt, die das System scheinbar bestätigen.

Aus lebensmittelchemischer und -technologischer Sicht macht die Klassifikation keinen Sinn. Die Zusammensetzung von Lebensmitteln ist sehr komplex und das kann man nicht immer durch eine einfache Zahl abbilden. Der Nutri-Score hat auch seine Schwächen, aber er bezieht sich auf die tatsächliche Zusammensetzung, aber zum Vergleichen von Einzelprodukten kann er durchaus nützlich sein.


Lebensmittelverarbeitung ist essenziell

Professorin Ute Weisz, TU München

Manon Struck-Pacyna

Leiterin Öffentlichkeitsarbeit beim Lebensmittelverband Deutschland

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Ein Großteil unseres Lebensmittelangebots besteht aus unterschiedlich verarbeiteten Produkten. Was genau „hochverarbeitet“ bedeutet, ist dabei wissenschaftlich nicht einheitlich und eindeutig definiert. Ein wesentlicher Kritikpunkt an der viel zitierten NOVA-Klassifikation ist ihr überwiegend qualitativer Ansatz zur Einteilung der Lebensmittel, ohne klar definierte Grenzwerte (u. a. Menge an Zusatz-/Nährstoffen). Ein gutes Beispiel dafür, warum dieses System zu Verwirrung führt, ist das Vollkornbrot: Wenn es abgepackt in einem Supermarkt gekauft wird, gilt es als hochverarbeitet, auch wenn es möglicherweise weniger Salz und mehr Ballaststoffe enthält als das unverpackte Brot aus einer Bäckerei.

Letztlich ist es aber weniger wichtig, in welche Kategorie ein Lebensmittel fällt, sondern dass Verbraucherinnen und Verbraucher beim Einkauf die freie Wahl aus einem breiten Angebot haben und nach Zeit, Lust und Können entscheiden.

Verarbeitung ist essenziell, um Lebensmittel sicher, essbar und haltbar zu machen. Industrielle Verarbeitung erfolgt unter strengen wissenschaftlichen, technologischen und rechtlichen Standards, die Sicherheit und Qualität gewährleisten. Traditionelle und moderne Verfahren, oft kombiniert, machen Lebensmittel genießbar, inaktivieren unverträgliche Inhaltsstoffe, verbessern die Lagerfähigkeit und gewährleisten gleichbleibende Qualität.

Zu den Vorteilen der industriellen Lebensmittelverarbeitung gehören zudem die Anpassung an spezifische Bedürfnisse (z. B. glutenfreie, laktosefreie, vegane Alternativen), die Versorgung bestimmter Bevölkerungsgruppen durch angereicherte Lebensmittel sowie die Reduzierung von Lebensmittelabfällen durch passende Portionierungen.

Viel diskutiert wird eine negative gesundheitliche Auswirkung des Verzehrs hochverarbeiteter Lebensmittel. Da eine einheitliche Definition fehlt, ist aber auch eine wissenschaftliche Bewertung erschwert. Denn die Ergebnisse verschiedener Studien sind nur sehr eingeschränkt vergleichbar, es fehlt eine klare und reproduzierbare Methodik. Entscheidend ist am Ende des Tages, wie ein Lebensmittel in den individuellen Speiseplan passt und zur Energie- und Nährstoffversorgung beiträgt. Eine ausgewogene Ernährung kann verschiedene Verarbeitungsgrade umfassen, wobei der persönliche Lebensstil und der Nährstoffbedarf entscheidend sind.


Kann man sich mit hochverarbeiteten Lebensmitteln gesund ernähren?

Britta Schautz vor städtischer Architektur

Britta Schautz

Projektleitung Ernährung und Lebensmittel, Verbraucherzentrale Berlin e. V.

Kontakt: ernaehrung@vz-bln.de

Foto: Henning Kunz, Verbraucherzentrale Berlin

Hochverarbeitete Lebensmittel wie Fertiggerichte und Süßigkeiten sind bei vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern beliebt, da sie einfach und ohne großen Zeitaufwand zubereitet oder direkt verzehrt werden können. Leider enthalten sie oft wenig gesundheitsförderliche Inhaltsstoffe wie Ballaststoffe, Vitamine, Mineralstoffe, ungesättigte Fettsäuren, sekundäre Pflanzenstoffe und Eiweiß, die reichlich in einer ausgewogenen Ernährung enthalten sein sollten. Im Gegensatz dazu weisen sie oft zu hohe Gehalte an Salz, gesättigten Fettsäuren, Kalorien und Zucker auf. Beobachtungsstudien zeigen einen Zusammenhang zwischen einem hohen Konsum dieser Produkte und dem Risiko verschiedener Erkrankungen wie z. B. Diabetes Typ 2, kardiovaskuläre Erkrankungen oder Depressionen. Es ist jedoch noch nicht ausreichend geklärt, ob der ermittelte Zusammenhang auf den Verarbeitungsgrad der Lebensmittel oder auf andere Faktoren wie das Nährstoffprofil oder andere Lebensstilfaktoren zurückzuführen ist.

Durch den regelmäßigen Verzehr von hochverarbeiteten salz- und zuckerreichen Produkten kann das eigene gekochte Essen dann womöglich fad erscheinen. Geschmackliche Vielfalt und eine nährstoffreiche Kost erleben wir am besten durch selbst gekochte frische Speisen. Eine gesunde Ernährung sollte immer bunt und vielfältig sein und hauptsächlich aus un- oder gering verarbeiteten Lebensmitteln wie Obst und Gemüse, Hülsenfrüchten, Vollkornprodukten, Nüssen und Ölen bestehen. Werden nach diesem Prinzip vorwiegend unverarbeitete Lebensmittel gewählt und hochverarbeitete Lebensmittel bleiben die Ausnahme, stellt das in der Regel immer noch eine ausgewogene und gesundheitsförderliche Ernährung dar.


Machen hochverarbeitete Lebensmittel krank?

Professor Dr. Stephan Martin

Prof. Dr. med. Stephan Martin

Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und GesundheitsZentrum (WDGZ) in Düsseldorf

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Ich bin Diabetologe und habe daher viel mit Menschen zu tun, die Typ-2-Diabetes oder Prädiabetes, also eine Vorstufe davon, haben. Aus meiner Sicht sind hochverarbeitete Lebensmittel ein Problem: Sie enthalten häufig Emulgatoren, künstliche Süßstoffe und viele Kohlenhydrate. Die regen die Insulinproduktion an, was dazu führt, dass die Menschen zunehmen. Und das begünstigt Krankheiten.

Es gibt Studien, die zeigen, dass Patienten durch eine Gewichtsabnahme den Diabetes (Typ 2) komplett besiegen konnten. Das zeigt: Wir können Menschen mit der Ernährung von Erkrankungen wie Diabetes wegbringen. Menschen mit Typ-2-Diabetes, einer Lebensstilerkrankung, haben zu viel Insulin. Das führt zu einer Insulinresistenz, zu erhöhtem Blutzucker und blockiert die Fettverbrennung. Den Zusammenhang von hohen Insulinspiegeln und Blockade der Fettverbrennung ist auch vielen Ernährungsexperten nicht bekannt. Betroffene sollten deshalb auf Nahrungsmittel verzichten, die die Insulinproduktion anregen; hochverarbeite Lebensmittel gehören häufig dazu. Eine fettarme Diät oder Zuckerverzicht wird ihnen daher nicht helfen.

Zu uns kommen oft frustrierte Patienten, die sagen: Ich lasse das Fett weg, esse kein Fleisch und nehme kein Gramm ab. Die Diskussion um die Verarbeitung ist zweitrangig, die Inhaltsstoffe sind entscheidend. Wir testen mit den Leuten die Blutzuckerwerte: Wenn sie hochverarbeitete Lebensmittel zu sich nehmen, mit vielen künstlichen Süßstoffen und Emulgatoren, geht der Blutzucker nicht hoch, aber der Insulinspiegel – und das ist ein Masthormon. Es entsteht ein Teufelskreis: Weil ihnen gesagt wird, Fett ist gefährlich, essen die Leute Kohlenhydrate. Je mehr Kohlenhydrate sie essen und je mehr Emulgatoren da drin sind, desto mehr Insulin produziert ihr Körper und sie nehmen weiter zu. Aber Menschen, die bereits Übergewicht haben, reagieren auf die kleinsten Kohlenhydratmengen wesentlich stärker mit einer ausgeprägten Insulinproduktion.

Wir sollten bei jedem Produkt die Nährwerttabelle prüfen, bevor wir es in den Einkaufswagen legen. Zucker, Süßstoffe oder Süßungsmittel finden sich auch in Lebensmitteln, bei denen man das zunächst nicht vermutet, wie zum Beispiel abgepacktem Schinken oder Grillsoßen. Wer sich insulinarm ernähren muss oder möchte, sollte Produkte mit Emulgatoren und Süßstoffen zurück ins Regal stellen. Ich empfehle generell, die Mahlzeiten aus frischen Produkten zuzubereiten, denn dann hat man die beste Kontrolle über die Insulinausschüttung.

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Titelbild: beats_stock.adobe.com

Stand: August 2024

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