Die Debatte: Fleisch, Krebs und Gesundheit
In der Debatte zeigen wir die Positionen wichtiger Akteurinnen und Akteure der Ernährungsszene, mit Stimmen aus Wirtschaft, Politik, Forschung, Verbraucherschutz oder Non-Profit-Verbänden. Die Statements beziehen sich auf das jeweilige Thema in der Rubrik Forschungsstand. Redaktionen dürfen die Texte verwenden, wenn sie den Ernährungsradar als Quelle nennen.
Inhalt
Was sagen Fleischwirtschaft und Industrie?
Verband der Fleischwirtschaft (VDF)
Auf dem Portal „Fokus Fleisch“, das vom Verband der Fleischwirtschaft (VDF) getragen wird, heißt es zur Krebs-Einstufung von Fleisch durch die Weltgesundheitsorganisation WHO: „Sowohl die Herangehensweise als auch die Datenlage und erst recht die Schlussfolgerung der WHO stehen wissenschaftlich auf sehr schwachen Füßen“ (VDF 2023). Auch verweist der VDF auf die Kritik am WHO-Bericht, den das Netzwerk für evidenzbasierte Medizin unmittelbar nach der Entscheidung geäußert hat. Der Verband zitiert dazu den Wissenschaftsrat der World Farmers‘ Organisation.
Dieser gelangt in der Studie „Consumption of Unprocessed Red Meat is Not a Risk to Health“ (WFO 2021) zu dem Ergebnis, dass es keine überzeugenden wissenschaftlichen Belege für erkennbare oder messbare negative Auswirkungen gibt, die der Verzehr von unverarbeitetem rotem Fleisch auf die Gesundheit von Menschen haben soll. Laut der WFO-Publikation „belegen die ausgewerteten Studien demnach, dass der Verzehr von rotem Fleisch ein wesentlicher Baustein für eine ausgewogene Ernährung ist und essenzielle Nährstoffe liefert“ (WFO 2021).
Der populäre Fleischatlas, herausgegeben von BUND und Heinrich-Böll-Stiftung, stößt beim VDF auf Kritik. So bemängelt der Verband 2021: „Der Fleischatlas erfüllt nur bedingt den wissenschaftlichen Anspruch“, und er enthalte „häufig mehr Weltanschauung als Fakten“ (Landwirtschaftsverlag 2021).
Bundesverband Rind und Schwein (BRS)
Der Bundesverband Rind und Schwein äußert sich vor allem zu Fragen der Tierhaltung, Tiergesundheit und Lebensmittelproduktion. Seine Position: Ohne Nutztiere ist es nicht möglich, Lebensmittel nachhaltig zu erzeugen (BRS 2021a). Denn insgesamt sind laut dem Verband 85 Prozent der pflanzlichen landwirtschaftlichen Biomasse für den Menschen nicht essbar. Über eine Nutzung des Wirtschaftsdungs schließt sich ein Nährstoffkreislauf. Die Tiere, gerade Kühe und Rinder, veredeln für Menschen nicht nutzbare Pflanzen oder Koppelprodukte der Lebensmittelindustrie (Gras, Stroh oder Trester); sie reduzieren damit auch Lebensmittelabfälle, schonen Ressourcen und entlasten das Klima.
Außerdem produzieren die Tiere dabei noch wertvolle Lebensmittel. Inzwischen wird laut BRS e.V. auch in der Zuchtwertschätzung mehr Wert auf balancierte Zuchtziele, wie Nutzungsdauer oder Tiergesundheit gelegt: Kam es bei Kühen 1990 lediglich auf die Milchleistung an, so fallen heute Gesundheit und Körperbau stärker ins Gewicht. Fleisch sieht der Verband als Teil einer gesunden Ernährung an: Zum einen versorgt es den Körper mit lebensnotwendigen Nährstoffen, zum anderen sind Rind- und Schweinefleisch fettarm und daher gut geeignet für eine kalorienarme Ernährung (BRS 2021b). Der Bundesverband wirbt in der Ernährung für Vielfalt statt Ausgrenzung.
Was sagen Umweltschützer und Vegetarier?
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gibt seit 2013 gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung die Reihe „Fleischatlas“ heraus (BUND 2021). Darin liefern die Herausgeber Informationen zu Fleisch und Fleischproduktion weltweit. Die Hefte erscheinen etwa alle zwei Jahre jeweils vor der Grünen Woche in Berlin. In der Ausgabe von 2021 standen vor allem Massentierhaltung, Umweltschäden und die schlechten Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie im Zentrum.
Die Herausgeber fordern einen grundlegenden Umbau der Produktion – weg von der Massentierhaltung – sowie einen weltweiten Verbrauchsrückgang um mindestens die Hälfte. Zwar vertritt der BUND die Position, dass eine Ernährung mit weniger Fleisch besser für die Gesundheit ist (BUND 2019). Bei seiner Kritik am Fleischkonsum geht es aber vor allem um die negativen Auswirkungen auf die Umwelt und die schlechte Haltung der Tiere. Die Fleischproduktion verbrauche viele Ressourcen an Fläche, Wasser und Futter, so die Argumentation. Die Bilanz von Gemüse sei viel besser, wie der BUND betont.
Verband ProVeg für vegane und vegetarische Lebensweise
Für ProVeg hat eine Ernährung ohne Fleisch gleich mehrere Vorteile (ProVeg 2023a): Pflanzliche Ernährung überzeugt nach Ansicht des Verbandes geschmacklich ebenso wie gesundheitlich. Während tierische Lebensmittel laut ProVeg Gesundheitsrisiken bergen, könne eine pflanzliche Ernährung helfen, so der Verband, ernährungsbezogenen Wohlstandskrankheiten vorzubeugen oder sie zu lindern (ProVeg 2023b). Die Organisation zählt hierzu Osteoporose, Diabetes Typ 2, Bluthochdruck, Adipositas, Arterienverkalkung, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Gicht auf. Zudem sorge die pflanzliche Ernährung für ein weltweit gerechteres Ernährungssystem und schütze Tiere wie Umwelt und Klima. Der Verband ProVeg hat es sich daher zur Mission gemacht, bis 2040 den weltweiten Konsum tierischer Produkte zu halbieren (ProVeg 2020): Pflanzliche und zellkultivierte Lebensmittel sollen tierische ersetzen. Die Zellkultivierung stellt dazu Fleisch aus Zellen und Käse mit Mikroorganismen wie Hefe her – ohne Beteiligung von Tieren.
Das sagen Experten zur Studienlage
Daten zu Fleisch bewerten: Bitte mit Vorsicht!
Der Vorsorgemediziner Dr. Johannes Scholl vom Praxisverbund präventivmedizinischer Praxen (Prevention First) rät dazu, bei der Bewertung von Studien zu Fleisch und Gesundheit genau hinzuschauen (Scholl 2020a). Denn weder Forschende noch Daten sind unfehlbar. Zwei Fragen sind besonders wichtig – Scholl erklärt, warum:
„Von welcher Arbeitsgruppe wurde die Studie durchgeführt?
Wenn man sich die Urheber ansieht, stellt sich heraus: Vegetarier und Veganer, die zum Beispiel am Institut des berühmten Frank B. Hu an der Harvard-Universität forschen oder in seinem Auftrag Studien auswerten, finden fast immer eine Risikosteigerung durch Fleisch. Wenn ein ehemaliger Mitarbeiter dieses Instituts auf Basis derselben Daten eine differenzierte Auswertung durchführt, kommt etwas anderes heraus: Für unverarbeitetes, rotes Fleisch gibt es keine Risikosteigerung bezüglich Krebs beim Menschen. So lautet das Ergebnis einer Studie von Dariush Mozaffarian. Er ist inzwischen nicht mehr in Harvard, sondern hält den renommierten Lehrstuhl für Ernährung an der Tufts Universität. Lediglich Wurstwaren, also hochverarbeitetes Fleisch, zeigen eine Assoziation mit einem leicht erhöhten Risiko.
Handelt es sich um Daten aus den 1980er oder 1990er Jahren?
Gesundheitsbewusste Menschen haben sich zwischen 1980 und 2000 an die Empfehlungen zur Fett- und Cholesterinreduktion gehalten – anders als Menschen, denen offizielle Ernährungsempfehlungen egal waren: Die trieben weniger Sport, rauchten mehr oder waren häufiger übergewichtig. Solche angeblich „prospektiven“, also vorausschauenden, Studien, die aber in der Rückschau durchgeführt werden, beruhen auf solchen älteren Daten. Sie dienen häufig nur dem Zweck, eine vorgefasste Meinung aus den Daten herauszulesen.
Das passiert im Moment sehr häufig beim Trendthema pflanzenbasierte Lebensmittel, die mit tierischen Produkten verglichen werden. Die Unterscheidung halte ich allerdings für unsinnig. In beiden Gruppen gibt es ungesunde und gesunde Lebensmittel.
Die Daten der prospektiven PURE-Studie (Dehghan et al. 2017) , die in 27 verschiedenen Ländern durchgeführt wurde, zeigten aber: Fleisch, Milch, Käse, Gemüse und Obst, Olivenöl, Nüsse und Fisch waren mit niedrigeren Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes assoziiert. Auch die Gesamtsterblichkeit lag niedriger. Der Leiter der Studie, ein international hoch angesehener Kardiologe, sah sich aber mit heftiger, geradezu bösartiger Kritik konfrontiert. Seine Ergebnisse verärgerten Teile der Ernährungsszene, nicht nur die Daten zu Fleisch, sondern auch zu Salz, Kohlenhydraten allgemein und zu Milchprodukten.
Was Statistik in den Studien angeht, meinte der Harvard-Forscher Frank B. Hu einmal persönlich zu mir, man müsse seinen Statistikern eben „einfach vertrauen“. Doch dann sind die Zahlen eine Blackbox, die manipuliert werden kann. Auch gibt es zu viele Ungenauigkeiten beim Erheben, etwa in Ernährungsfragebögen. Dann sagt eine angebliche Risikosteigerung um 3 Prozent bei Fleisch und Darmkrebs, tatsächlich nichts aus – diese Problematik wollen viele nicht sehen.“
Hinweis: Dieses Statement für das KErn basiert auf dem im Juni 2020 im Deutschen Ärzteblatt erschienenen Artikel „Ernährung und Klima: Fleischfrei gesund und klimafreundlich essen – die Evidenz fehlt“ (Scholl 2020a). Zu diesem Artikel wurden Gegendarstellungen von der Physicians Association for Nutrition e.V. (PAN 2020), auf die Dr. Scholl geantwortet hat (Scholl 2020b), und Dr. Udo Maid-Kohnert in der Ernährungsumschau (Maid-Kohnert 2020) veröffentlicht.
Mehr zu Fleisch: Krebsverdacht
Nachweise
BRS – Bundesverband Rind und Schwein e.V. (2021a): Eine nachhaltige Lebensmittelerzeugung ist derzeit ohne Nutztierhaltung nicht möglich
BRS – Bundesverband Rind und Schwein e.V. (2021b): Rindfleisch liefert wertvolle Nährstoffe und hochwertige Proteine
BUND e.V. (2019): Weniger Fleischkonsum ist besser für Gesundheit und Umwelt, Pressemitteilung 30.9.2019, [online] https://www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/weniger-fleischkonsum-ist-besser-fuer-gesundheit-und-umwelt/
BUND e.V. (2021): Politik muss Fleischwende jetzt einleiten – Fleischatlas 2021: Daten und Fakten zu Tieren als Lebensmittel. Pressemitteilung vom 6.1.2021
Fleischatlas 2021 zum Herunterladen und Bestellen: https://www.bund.net/service/publikationen/detail/publication/fleischatlas-2021/
Dehghan et al. (2017): Associations of fats and carbohydrate intake with cardiovascular disease and mortality in 18 countries from five continents (PURE): a prospective cohort study. Lancet 390(10107):P2050–2062
Landwirtschaftsverlag GmbH (2021): VDF kritisiert Fleischatlas 2021. Pressemitteilung vom 29.1.2021
Maid-Kohnert U (2020): Ärzteblatt-Beitrag zu pflanzenbasierter Ernährungsweise: Geht es um Evidenz oder um Arroganz? Ernährungs Umschau Online Plus
PAN – Physicians Association for Nutrition e.V. (2020): Stellungnahme zum DÄB-Artikel “Ernährung und Klima: Fleischfrei gesund und klimafreundlich essen – die Evidenz fehlt”
ProVeg e.V. (2023a): 5 gute Gründe, ProVeg zu sein
ProVeg e.V. (2020): Start-ups arbeiten an der Zukunft des Essens: ProVeg-Incubator startet dritte Runde. Pressemitteilung vom 3.4.2020
ProVeg e.V. (2023b): Zivilisationskrankheiten und vegan-vegetarische Ernährung
Scholl J (2020a): Ernährung und Klima: Fleischfrei gesund und klimafreundlich essen – die Evidenz fehlt. Dtsch Ärztebl 117(27–28):A-1384/B–1184
VDF – Verband der Fleischwirtschaft e.V. (2023): Sind verarbeitetes und rotes Fleisch ungesund – sogar krebsbegünstigend?
WFO – World Farmers´ Organisation Scientific Council (2021): Consumption of unprocessed red meat is not a risk to health
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Stand: Juni 2023