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Die Debatte um die neuen Ernährungsempfehlungen der DGE

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung berücksichtigt in ihren neuen Empfehlungen nicht mehr nur gesundheitliche Aspekte, sondern auch die Auswirkungen der Ernährung auf die Umwelt – was nicht allen gefällt. In unserer Debatte kommen Expertinnen und Experten zu Wort, die ihre Einschätzung zu den aktuellen Ernährungsempfehlungen abgeben.

Hier findet sich unser Überblick, was sich konkret an den neuen Ernährungempfehlungen geändert hat.


Inhalt


Neue DGE-Empfehlungen: Ein Kompromiss auf solider Grundlage

Prof. Dr. Friedrich-Karl Lücke, Dr. Paul-Martin Küpper, Prof. Dr. Natalie Laibach, Dr. Gesa Maschkowski, Friederike Elsner

Mitglieder der Fachgruppe Agrar-Ernährung der Scientists for Future

Kontaktperson: Prof. Dr. Friedrich Karl-Lücke (ehemals Hochschule Fulda), friedrich-karl.luecke@oe.hs-fulda.de

Hinweis: Das ausführliche Statement der Autorinnen und Autoren finden Sie unter nachfolgendem Link: https://cloud.skip.scientists4future.org/s/7F2qHsTjwNpeMLe.

„Die DGE hat sich zum Ziel gesetzt, einen Ausgleich zwischen den Aspekten Gesundheit, Umwelt und Nähe zum üblichen Verzehr zu schaffen und ihre lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen in Einklang mit den Grundsätzen der Planetary Health Diet (PHD) zu bringen. Das Ergebnis ist ein Kompromiss, der nicht allen Wünschen bzw. Teilzielen entsprechen kann, aber eine Berücksichtigung verschiedener Aspekte sicherstellt.

Ein Verständnis der Empfehlungen in dem Sinne „Ich muss mich genau an diese ‚Diät‘ halten“ führt allerdings leicht zu einer Überforderung: Alltagsferne Empfehlungen, die sich nicht umsetzen lassen, können zu Reaktanz, aber auch zu Frust und Selbstvorwürfen führen, dass man es nicht geschafft hat, sich gesund und umweltschonend zu ernähren. Mit anderen Worten: Man ernährt sich so wie vorher, aber mit schlechtem Gewissen.

Ein weiteres Missverständnis ist, dass durch Ernährungsempfehlungen vorgeschrieben würde, was man essen soll. Dabei ist eine Beeinflussung des individuellen Verhaltens durch Werbung allgegenwärtig, meist für Produkte mit niedrigem Gesundheitswert. Solche „ungesunden“ Lebensmittel sind zudem oft günstiger und leichter verfügbar.

Insgesamt ist der Nutzen der DGE-Empfehlungen für das individuelle Ernährungsverhalten begrenzt. Das zentrale Problem auf dem Weg zu nachhaltigeren Ernährungsmustern ist die Kluft zwischen Ernährungsempfehlungen und der Ernährungsrealität. Dabei ist die Verbesserung der Ernährungsumgebungen wichtiger. Die DGE-Empfehlungen können eher auf übergeordneter Ebene nützlich sein, indem sie z. B. helfen, gesundheitsfördernde Ernährungsumgebungen im Sinne der Verhältnisprävention zu schaffen. Dazu gehört es, Essen in der Gemeinschaftsgastronomie nachhaltiger und gesünder zu gestalten. Aber auch die ökologische Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion gehört dazu und die Gestaltung von politischen Rahmenbedingungen, die eine gesunde und nachhaltige Wahl auch im Lebensmitteleinzelhandel zur einfachen Wahl machen.

Es ist wichtig, einer ideologischen Überfrachtung verschiedener Ernährungsstile entgegenzuwirken. Die DGE sollte weiterhin alles dafür tun, dass die Empfehlungen richtig verstanden werden und auch nicht als Alibi für Untätigkeit im Bereich der Ernährungsumgebung herhalten, indem die Verantwortung allein den Verbraucherinnen und Verbrauchern aufgelastet wird.


In der ernährungstherapeutischen Betreuung können die DGE-Empfehlungen nicht umgesetzt werden

Professorin Ute Weisz, TU München

Andrea Barth, Dipl. oec. troph

Praxis für Ernährungstherapie, Esslingen a. N.
Vorstandsmitglied E-Zert – Plattform qualifizierte Ernährungstherapie e.V.

https://www.igze.de/ernaehrungsberatung/uebersicht.html

„Der starke Fokus auf pflanzliche Ernährung mag aus Sicht des Klimaschutzes positiv sein, lässt sich aber auf Basis der neuen DGE-Empfehlungen (FBDG) für gesunde Menschen nur schwer umsetzen. Für Kinder, alte Menschen und Personen mit Gesundheitsproblemen sind die FBDG völlig ungeeignet, allerdings – ganz wichtig! – auch nicht für diese Personengruppen angedacht. In der Ernährungstherapie ist beispielsweise eine proteinreiche Kost für Menschen mit Mangelernährung oder ältere Personen nur unter vermehrter Einbeziehung tierischer Lebensmittel zielführend. Tierisches Protein ist hier demnach essenziell. Als weiteres Beispiel: Patienten mit Fettstoffwechselstörungen oder Darmproblemen verschlechtern mit einer obst- und kohlenhydratreichen Ernährung, wie die FBDG sie ermöglicht, in den meisten Fällen die Problematik.

Eine flexible, patientenorientierte Anpassung der DGE-Empfehlungen ist in der ernährungstherapeutischen Betreuung also zwingend erforderlich, um die metabolischen Einstellungen zu verbessern, eine adäquate Nährstoffversorgung zu gewährleisten und Mangelernährung zu verhindern.“


Ernährung nach den neuen Richtlinien würde auch teurer

Professorin Ute Weisz, TU München

Professorin Dr. Hannelore Daniel

Professorin emeritus für Ernährungsphysiologie an der Technischen Universität München; wissenschaftliche Beraterin

https://www.hdaniel.de

„Die Zahlen, die in die Modellanalysen zur Minimierung der klimawirksamen Emissionen und des Landverbrauchs durch Ernährung einfließen, weisen eine sehr große Varianz auf, sodass die Empfehlungen nur als unscharfer Schattenwurf verstanden werden dürfen. Darüber hinaus werden einige neue Probleme geschaffen, würde man sich so ernähren. Da wir über 70 Prozent unseres Obsts und Gemüses importieren, verlagern wir eine Reihe von Umweltproblemen in unsere Nachbarländer und die Welt, wenn wir den Verzehr, wie empfohlen, verdoppeln. Und teurer würde die Ernährung auch werden.“


Wer sich gesund ernähren möchte, sollte eine pflanzlich betonte Kost bevorzugen

Professorin Ute Weisz, TU München

Professor Dr. med. Hans Hauner

Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin, Technische Universität München (TUM) Copyright Bild: Klinikum rechts der Isar an der TUM

https://www.professoren.tum.de/hauner-hans

„Die neuen DGE-Empfehlungen gehen leider weit an der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen vorbei und werden daher die durchaus hehren Ziele verfehlen. Es wäre viel sinnvoller, Menschen zu motivieren, in kleinen und für sie passenden Schritten ihre Ernährung zu ändern. Dazu sind sicher viele Menschen bereit und können das auch schaffen. Wer sich gesund ernähren möchte, sollte eine pflanzlich betonte Kost bevorzugen. Damit ist nicht nur ein persönlicher Nutzen verbunden, sondern auch eine Schonung der natürlichen Ressourcen.“


Die neuen Ernährungsempfehlungen sollten lediglich als grobe Richtschnur verstanden werden

Professorin Ute Weisz, TU München

Christine Röger

Leitung Kompetenzzentrum für Ernährung

https://www.kern.bayern.de

Die Empfehlungen der DGE haben viel Kritik hervorgerufen: Die Bedürfnisse von Menschen mit Vorerkrankungen wie Diabetes seien nicht berücksichtigt. Und die Empfehlungen seien von klimapolitischen Erwägungen bestimmt statt von gesundheitlichem Nutzen. Wie berechtigt ist diese Kritik?

„Ich kann die Kritik zum Teil sehr gut verstehen. Wir haben am Kompetenzzentrum für Ernährung schon viele kritische Rückfragen zu den neuesten lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen erhalten. Derzeit stehen wir in einem Dilemma: Die DGE ist für uns Ernährungsfachleute die fachliche und wissenschaftliche Leitinstitution. In privaten und fachlichen Kreisen nehme ich aber durchaus wahr, dass das Ansinnen, „Gesundheits- und Umweltaspekte im Sinne von lebensmittelbezogenen Empfehlungen umzusetzen“, nicht richtig in der Bevölkerung ankommt, hinterfragt wird und am Ende viel Gegenwehr hervorruft. Was wir als Ernährungsexpertinnen und -experten erreichen wollen, ist: Einen gesunden Lebensstil für alle zu ermöglichen, wissenschaftlich basiert, aber zugleich verständlich zu argumentieren und dies auch bestmöglich praxisorientiert in der Gemeinschaftsverpflegung, in Schulen, in der Ernährungsbildung und am Ende in der Bevölkerung umzusetzen.

Das Problem dabei ist: Man darf die Empfehlungen nicht dogmatisch für alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen sehen. So haben Kinder, Schwangere, Senioren, Dicke und Dünne unterschiedliche Bedarfe an Lebensmitteln. Für einzelne Krankheitstypen oder Personengruppen ist die Kritik an den Empfehlungen durchaus berechtigt. Die DGE hat mit ihren neuen Empfehlungen aus meiner Sicht lediglich eine rechnerische Richtline herausgegeben. Und natürlich sollten wir eine Balance zwischen Klima- und Gesundheitsschutz anstreben und hier auch Empfehlungen rausgeben – nach dem „One-Health-Konzept“, das besagt: Gesunde Menschen kann es auf Dauer nur auf einem gesunden Planeten geben.

Wir raten darum, die neuen Ernährungsempfehlungen nur als grobe Richtschnur zu verstehen und sich nicht persönlich über einzelne Details den Kopf zu zerbrechen – zum Beispiel, ob nun ein oder zwei Eier pro Woche gerade noch okay sind. Außerdem sollten sich Ernährungsempfehlungen nach den persönlichen Vorlieben richten. Wie wollen Sie einem übergewichtigen Patienten erklären, der z. T. über 1,5 kg Fleisch pro Woche isst, dass er nun seinen Fleischkonsum auf weniger als 300 Gramm reduzieren müsste? Da ist eine Reduktion auf 700 Gramm und eine generelle Gewichtsabnahme durchaus ein super Erfolg. Genau hier stößt das wissenschaftliche und mathematische Modell an seine Grenzen. Einfacher verständlich wäre die Botschaft: Weniger ist mehr! Qualität statt Quantität. Übergewicht reduzieren.

Wir müssen uns also genau überlegen, wie wir wissenschaftliche Überlegungen und mathematische Modelle an die Bevölkerung so kommunizieren, dass die Menschen die Fakten auch richtig einordnen können.“

Ein weiterer Vorwurf lautet, die Empfehlungen der DGE seien nicht mehr modern, würden etwa das Problem der Bewegungsarmut nicht berücksichtigen. Wie sehen Sie diesen Vorwurf?

„Die DGE konzentriert sich auf Ernährung. Andere Lifestyle-Aspekte wie Bewegung oder geistige und soziale Aktivität ergänzen das Gesundheitskonzept natürlich. Die DGE ist ein öffentliches Organ, das wissenschaftliche Grundlagen in der Ernährung verantwortet. Und in diesem Sinne sind Ernährungsempfehlungen, die sich konkret auf Lebensmittel beziehen, durchaus legitim und sinnvoll. Wir wissen: Leider bewegen sich die meisten Deutschen viel zu wenig, essen zu viel und unausgewogen und sind zu viel im Internet unterwegs statt in der Natur. Das können die DGE und Ernährungsfachleute per se aber nicht alleine heilen. Wir sollten uns daher auch vom allgemeinen Weltverbesserer-Image etwas distanzieren.“

Wenn man sich gesund und für sich passend ernähren möchte und dazu Rat sucht, an wen sollte man sich am besten wenden?

„Persönlichen Rat sollte man sich beim Ernährungsmediziner bzw. -medizinerin und einer qualifizierten bzw. zertifizierten Ernährungsberatung (siehe E-Zert) holen. Eine gute Quelle ist natürlich auch der Ernährungsradar. Die Empfehlungen der DGE ersetzen keine persönliche Beratung!“

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Forschungsstand

Titelbild: Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE)

Stand: Juli 2024

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