Die Debatte um Alternative Proteine
Fleisch und Co. sind in unserer Ernährungskultur und unserem Wirtschaftssystem fest verankert. Wenn mehr Alternativen auf die Teller kommen sollen, dann geschieht das nicht ohne Debatte. Hier kommen Menschen aus der Ernährungsszene zu Wort, die sich aus verschiedenen Perspektiven mit dem Thema „Alternative Proteine“ beschäftigen.
Inhalt
Zu Umweltauswirkungen und Gesundheit
Professorin Dr. Ute Weisz
Lehrstuhl für Plant Proteins and Nutrition an der TUM
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Wie bewerten Sie pflanzliche Ersatzprodukte für tierische Lebensmittel hinsichtlich ihrer Umweltauswirkungen?
„Zunächst einmal finde ich es nicht gut, von Ersatzprodukten zu sprechen, sondern eher von Alternativen zu tierischen Lebensmitteln. Denn genau genommen können pflanzliche Produkte die tierischen nicht ersetzen, sie unterscheiden sich von ihrer Zusammensetzung maßgeblich.
Fakt ist, wir müssen den Konsum tierischer Produkte, hergestellt durch Intensivtierhaltung, IN DER BREITEN MASSE verringern, denn die Produktion tierischer Produkte, insbesondere Fleisch, bedarf vieler Ressourcen, von Tierwohl mal ganz abgesehen. Um die breite Masse mitzunehmen, können die Alternativprodukte eine Brückentechnologie darstellen, da die große Mehrheit der Verbraucher weiß, wie man einen Burger brät. So kann sich der Verbraucher langsam an den Geschmack pflanzlicher Produkte, insbesondere Leguminosen, gewöhnen. Vielleicht wird es in ein paar Jahren gar nicht mehr zwingend nötig sein, wirklich genau Fleisch- und Milchprodukte zu imitieren. Ich erhoffe mir, dass die pflanzlichen Produkte eine ganz neue Produktkategorie darstellen werden.“
Als wie gesund sind Alternative Produkte Ihrer Ansicht nach einzuordnen?
„Bezüglich Gesundheit denke ich, dass – wie in allen Bereichen – „allein die Dosis das Gift macht“ (Paracelsus) und bei gelegentlichem Verzehr von Alternativprodukten (genauso übrigens wie bei tierischen Produkten) überhaupt kein Problem besteht. Wenn sich die Menschheit tagtäglich ausschließlich von pflanzlichen Burgern ernähren wird, mag das vielleicht anders sein. Als Lebensmitteltechnologin kann ich all die Aufregung über verarbeitete und unverarbeitete Lebensmittel und irgendwelche fragwürdige Klassifizierungen überhaupt nicht nachvollziehen. Dank der Tatsache, dass die Historie der Lebensmittelverarbeitung derart erfolgreich war, sind unsere Lebensmittel so sicher wie nie und wir können so viele Menschen mit Lebensmitteln versorgen wie noch nie. Durch gewisse Arten der Verarbeitung werden Lebensmittel überhaupt erst genießbar und vor allem auch haltbar gemacht, was beträchtlich zur Vermeidung von Lebensmittelverlusten beiträgt. Wenn unter Ernährungswende verstanden wird, dass wir den Weg wieder zurück gehen, dann fehlen mir die Worte.“
Insekten als Lebensmittel der Zukunft?!
Professor Dr. Florian J. Schweigert
Lehrstuhl für Physiologie und Pathophysiologie der Ernährung, Universität Potsdam
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Grille am Spieß, Käferbratlinge oder ein Müsliriegel auf Insektenbasis: Für Sie sind Insekten ein Lebensmittel der Zukunft. Warum?
„Um den Bedarf an hochwertigem Eiweiß für eine wachende Weltbevölkerung zu decken, stellen Insekten sicher eine echte Alternative dar und werden bis in ca. 10 Jahren ganz selbstverständlich in den Supermarktregalen zu finden sein. Für zwei Milliarden Menschen dieser Erde stehen sie übrigens täglich auf dem Speiseplan. Hierzulande bedarf es da sicher noch einiges an Überzeugungsarbeit, schließlich sind die meisten Verbraucher eher skeptisch, wenn es um den Genuss von Mehlwürmern oder Käfern geht.“
Wie kann man sie überzeugen?
„Durch die Art der Zubereitung. Und Insekten sind schmackhafter, als man vermuten würde. Ich würde den Geschmack von Heuschrecken oder Grillen als „etwas nussig“ beschreiben. Und auch Käfer oder Maden lassen sich mit Soße schmackhaft zubereiten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass bei vielen Menschen die anfängliche Skepsis weicht und sie feststellen, dass Insekten sich beispielsweise von Shrimps nicht allzu groß unterscheiden, also auch was die Konsistenz betrifft. Und werden Insekten zu Mehl oder Nudeln verarbeitet, ist die Akzeptanz sogar noch höher, weil man das Insekt nicht als solches wahrnimmt.“
Und der ökologische Fußabdruck ist auch besser?
„Hinsichtlich Nutzfläche, CO2, Futterverbrauch und so weiter sind sie anderen tierischen Eiweißquellen deutlich überlegen. Um ein Kilogramm Würmer aufzuziehen, benötigt man genau wie beim Huhn ca. zwei Kilogramm Futter. Aber die Insekten können zu 100 Prozent verarbeitet werden, das Huhn nur etwa zur Hälfte. Wir werden in Zukunft an den Insekten gar nicht mehr vorbeikommen.“
Insekten aus Sicht der Lebensmittelproduktion
Prof. Dr. Wilhelm Windisch
Professor Emeritus für Tierernährung, Technischen Universität München
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Sind Insekten eine gute Alternative zu herkömmlichen Proteinen in der Ernährung?
„Insekten können schnell hochwertige, verderbliche Biomasse aufwerten, die für den menschlichen Verzehr ungeeignet ist; zum Beispiel Gemüse- und Obstreste aus dem Supermarkt. Wenn wir Gras verfüttern, sind Kühe die bessere Option, denn die Wiederkäuerinnen können aus derselben Menge Futter mehr menschliche Nahrung machen. Wir sollten außerdem darauf verzichten, die Tiere mit Rohstoffen zu füttern, die auch Menschen essen könnten, zum Beispiel Soja – dann geht Biomasse verloren.“
Können Sie das genauer erklären?
„Das Ernährungssystem sollte so gestaltet werden, dass wir alle Ressourcen möglichst effizient nutzen und keine Abfallstoffe übrigbleiben. Können Menschen ein Produkt essen? Dann sollten wir das tun: Wenn wir damit Tiere füttern, die wiederum Nahrungsmittel produzieren, verlieren wir Biomasse durch doppelte Transformation. Und aus Biomasse, die Tiere ernähren kann, sollte kein Biokraftstoff oder Biogas werden.
Ein schönes Beispiel ist der Haferdrink. Er gilt als besonders umweltfreundlich, aber man betrachtet nur den Anteil, der auch im Haferdrink landet. Und das ist gerade mal ein Sechstel der Biomasse der ursprünglich geernteten Haferpflanze. Die anderen fünf Sechstel müssen ebenfalls sinnvoll verwertet werden. Neben dem Haferstroh handelt es sich insbesondere um die Haferpülpe, also den wässrigen Rückstand der Haferkörner, der bei der Herstellung des Haferdrinks anfällt. Das sind zwei Drittel der Haferkörner-Biomasse, also doppelt so viel, wie in den Haferdrink gelangt. Dieser Rückstand ist ein hochwertiges Futtermittel, so dass man aus jedem Glas Haferdrink ein weiteres Glas Kuhmilch machen könnte.
Eigentlich bedeutet die Aufwertung eines Teils der Haferkörner zum Haferdrink immer auch eine Abwertung des nicht verwerteten Restes. Da könnte man prüfen, ob man die Haferkörner nicht besser als intakte Körner gegessen hätte. Insgesamt kommt es darauf an, die gesamte Biomasse in eine Verwertungskaskade zu schicken, die in der Summe möglichst viele Menschen ernähren kann – in solchen Kaskaden haben Insekten durchaus ihren Platz.“
Was ist bei der Produktion von Speiseinsekten zu bedenken?
„Bei der Debatte über Insekten als umweltfreundlichere Alternative zu Wirbeltierfleisch wird meines Erachtens noch wenig über die Konsequenzen nachgedacht. Da gibt es einige offene Fragen, die zu klären sind:
- Wie werden Insekten ethisch korrekt und schmerzfrei getötet? Die Frage klingt zunächst merkwürdig. Aber wir müssen uns darauf einstellen, dass in Zukunft hier die gleichen juristischen Kriterien angelegt werden wie etwa beim Schwein.
- Was ist mit der Hygiene der Insektenprodukte? Wie bekommen wie den Inhalt des Verdauungstrakts der getöteten Tiere heraus, oder essen wir das mit?
- Wie sieht es mit der Sicherheit der Insektenproduktion aus? Insekten können von Seuchen befallen werden und dann als Lebensmittellieferanten ausfallen. Sie können auch Zoonosen übertragen, von Viren und Parasiten befallen sein. Was sind die Risiken? Welche tiermedizinischen Maßnahmen gibt es und wer führt sie durch?
- Was machen wir mit den Hinterlassenschaften der Insekten, also dem Pendant zu Mist und Gülle der anderen Nutztiere? Das sind große Mengen, die letztendlich wieder auf unseren Feldern landen.
- Welche Auswirkungen haben Nutzinsekten auf die Biodiversität? Hat es Einfluss auf die lokalen Ökosysteme, wenn gebietsfremde Tiere in die Natur gelangen? Wie wird gezüchtet?“
Brauchen wir alternative proteinreiche Lebensmittel?
Dr. Susanne Gola
Gruppenleiterin Lebensmittelzutaten am Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung
Kontakt: susanne.gola@ivv.fraunhofer.de
Braucht es alternative proteinreiche Lebensmittel und wenn ja, warum? Wir haben in westlichen Ländern doch keinen Proteinmangel?
„Auch wenn kein akuter Proteinmangel besteht, braucht es alternative proteinreiche Lebensmittel. Viele Verbraucher sind aus Gründen der Nachhaltigkeit, des Tierwohls oder der Gesundheit daran interessiert, ihren Konsum tierischer Proteine zu reduzieren. Proteinreiche Lebensmittel mit pflanzlichen Proteinen sowie mit Algen, Pilzen und Insekten bieten dabei eine Möglichkeit, die Ernährung zu diversifizieren. Durch Fleisch- oder Milchproduktalternativen können Verbraucher ihren individuellen Bedürfnissen, Vorlieben und Werten gerecht werden und gleichzeitig das gewohnte Ernährungsverhalten zum Großteil beibehalten. So wird die Hürde zur Integration alternativer Proteine in die Ernährung gesenkt. Daher stellen diese innovativen proteinreichen Lebensmittel eine wichtige Brückentechnologie zur Transformation des Ernährungssystems hin zu mehr Nachhaltigkeit und Bioökonomie dar.“
Zu den Wertschöpfungsketten regionaler Eiweißpflanzen
Andrea Winterling
Projektleiterin Speiseleguminosen BioBayern II (LfL)
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Wie ist es um die Wertschöpfungsketten regionaler Eiweißpflanzen bestellt?
„Ihr Proteingehalt, weitere wertvolle Inhaltsstoffe und Trends wie eine klimafreundliche, nachhaltige und pflanzenbetonte Ernährung steigern die Nachfrage nach regional erzeugten Hülsenfrüchten. Verarbeitende Betriebe, aber auch Endkundinnen setzen bei Hülsenfrüchten zunehmend auf heimische Herkunft, weil sie Vorteile in der Qualitätssicherung, kürzeren Transportwegen und weniger Treibhausgasen in der Produktionskette sehen.
Für heimische Landwirte kann der Anbau von bisher kaum bekannten trockenheitsverträglichen Kulturen wie Linsen, Kichererbsen, Trockenbohnen und Platterbsen auch eine Anpassungsstrategie an den Klimawandel sein – die im besten Fall mit einer guten Wertschöpfung für den landwirtschaftlichen Betrieb verbunden ist. Dafür benötigen sie aber Sorten, die auf hiesigen Böden und klimatischen Bedingungen gute und stabile Erträge liefern. Auch die Vermarktungsstrukturen müssen sich zum Teil erst noch entwickeln und es muss noch Vernetzungsarbeit geleistet werden. Hier ist aktuell das Legunet sehr aktiv, in dem die LfL Projektpartner ist. Vor allem im Markt für Fleischersatzprodukte liegt Potenzial und er entwickelt sich dynamisch.“
Welche Chancen bieten Wertschöpfungsketten mit regionalen Hülsenfrüchten?
„Für Landwirtinnen und Landwirte kann der Anbau von besonderen Speiseleguminosen wie Kichererbsen, Trockenbohnen oder Linsen ein zusätzliches Standbein sein, dass sich gut vermarkten lässt – vor allem dann, wenn sie (anders als Soja und Lupine) vor dem Verzehr nicht aufwendig verarbeitet werden müssen. Auch der Umwelt kommt der Anbau von Hülsenfrüchten zugute: sie leisten einen wertvollen Beitrag zu einer vielfältigen Fruchtfolge, sind Nahrung für Nektar sammelnde Insekten und verbessern durch ihre Knöllchenbakterien die Stickstoffversorgung im Boden auch in weniger fruchtbaren Lagen.
Und verarbeitende Betriebe sowie Konsumentinnen und Konsumenten profitieren von regionalen Speiseleguminosen, weil sie auf hiesige Qualitätssicherungsmaßnahmen vertrauen können und die Transportwege deutlich kürzer sind.“
Wo liegen die Herausforderungen bei der Etablierung regionaler Wertschöpfungsketten?
„Der Bedarf wird bei vielen Hülsenfrüchten immer noch in hohem Maß durch Importe gedeckt: weil sie günstiger sind oder weil große Mengen in bestimmten Qualitätsanforderungen nur im Ausland verfügbar sind. Der Anbau von heimischen Hülsenfrüchten ist unter Umständen nicht so einfach und er muss für die Landwirtinnen und Landwirte auch lukrativ sein. Damit das hier bei uns lohnenswert wird, gibt es noch einige Hürden zu überwinden.
- Vernetzung: um konkurrenzfähig zu werden, ist es für regionale Anbieter wichtig, sich zu vernetzen und Kooperationen zu bilden; z. B. bei der Aufbereitung oder bei Analysen.
- In der Pflanzenzüchtung wird an neuen Sorten für den heimischen Anbau geforscht: Bei der Weißen Lupine suchen wir beispielsweise Wege, wie wir die Krankheitsanfälligkeit (Anthraknosetoleranz) senken und die Qualität der Inhaltsstoffe (Alkaloidarmut) steigern können.
- Erfahrungen sammeln: Während Soja, Lupine, Ackerbohne und Erbse im heimischen Anbau eine große Bedeutung haben und bereits ausreichend Anbauerfahrungen vorliegen, steht der Anbau von Kichererbsen, Linsen, Trockenbohnen und Platterbsen in Bayern noch am Anfang. Wissenslücken bestehen beispielsweise bei der Aussaat oder dem Pflanzenschutz. Die Infrastruktur für die Aufbereitung des Ernteguts (z. B. Schälen) muss häufig noch geschaffen werden.
Für den Vermarktungserfolg ist entscheidend, dass die Qualität der Rohstoffe stimmt: Nur wenn diese Fragen befriedigend beantwortet werden können und sichere, stabile Erträge erreicht werden, wird beim Endprodukt ein realistischer Preis erzielt werden, den die Verbraucher auch zu zahlen bereit sind. Für alle Kulturen müssen sich die Vermarktungsstrukturen noch weiter entwickeln.“
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Titelbild: bit24/stock.adobe.com
Stand: Juni 2024