Sind Süßstoffe gesünder als Zucker? Das sagen aktuelle Studien
Dies ist ein Gastbeitrag von:
Dr. Gisela Olias (Wissenstransfer, Presse & Öffentlichkeitsarbeit) & Prof. Dr. Veronika Somoza (Wissenschaftliche Direktorin), Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München (Leibniz-LSB@TUM)
www.leibniz-lsb.de
Ein zu hoher Zuckerkonsum erhöht das Risiko für Karies und krankhaftes Übergewicht sowie damit verbundene, nicht-übertragbare Krankheiten. Daher sollen in Deutschland im Rahmen der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie bis zum Jahr 2025 die Zuckergehalte in Fertigprodukten schrittweise verringert werden.
Laut dem Ernährungsreport 2023 steht bei den meisten Verbraucherinnen und Verbrauchern der Geschmack beim Essen an oberster Stelle (BMEL 2023). Demzufolge liegt der Gedanke nahe, Süßungsmittel im Austausch gegen Zucker einzusetzen, um bei gleichbleibendem Süßgeschmack den Energiegehalt von Lebensmitteln zu verringern. Doch wie sinnvoll wäre dies aus gesundheitlicher Sicht?
Kurz gesagt
- Pures Wasser ist bei Getränken immer die bessere Wahl.
- Mit Süßstoff gesüßte Getränke können bei Erwachsenen eine gute Alternative zu mit Zucker gesüßten Getränken sein.
- Die Datenlage zum Gesundheitswert von Süßstoffen ist trotz zahlreicher Studien nicht einheitlich.
Inhalt
- Was sind Süßungsmittel und welche sind in der EU zugelassen?
- Wird die Vorliebe für Süßes in der Kindheit geprägt?
- Ist bereits der süße Geschmack stoffwechselrelevant?
- Helfen Süßstoffe beim Abnehmen?
- Süßstoffe und Diabetes
- Gibt es einen Zusammenhang zwischen Süßstoffen und Krebs?
- Erklärung für Widersprüchlichkeiten bei der gesundheitlichen Bewertung von Süßstoffen
- Fazit
- Nachweise
Was sind Süßungsmittel und welche sind in der EU zugelassen?
Süßungsmittel, auch als Zuckerersatzstoffe bekannt, sind sogenannte „Lebensmittelzusatzstoffe“, die Nahrungsmitteln einen süßen Geschmack verleihen oder als Tafelsüße dienen (EFSAa). Hierzu zählen sowohl Süßstoffe als auch Zuckeraustauschstoffe. Süßungsmittel schmecken zwar süß, haben im Vergleich zu Zucker aber weniger oder sogar keine Kalorien (siehe Tabellen). Ebenso sind Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe wie Isomalt, Sorbit oder Xylit nicht kariogen, tragen also nicht zur Kariesentwicklung bei.
Derzeit sind in der EU 11 Süßstoffe und 8 Zuckeraustauschstoffe von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zugelassen. Während sich die Gruppe der Süßstoffe stofflich gesehen stark unterscheidet, handelt es sich bei den Zuckeraustauschstoffen um eine Stoffgruppe: die der Zuckeralkohole (BfR 2014). Beiden Gruppen ist gemein, dass sie wie Zucker den menschlichen Süß(geschmacks)rezeptor aktivieren.
Tabelle: In der EU zugelassene Süßstoffe
E-Nummer | Süßstoff | ADI-Wert (mg/kg Körpergewicht pro Tag) | Kalorien (kcal/100g) | Süßkraft (als Vielfaches von Saccharose) |
---|---|---|---|---|
E 950 | Acesulfam K | 9 | 0 | 200 |
E 951 | Aspartam | 40 | 400 | 200 |
E 952 | Cyclamat | 7 | 0 | 35 |
E954 | Saccharin | 5 | 0 | 300–500 |
E 955 | Sucralose | 15 | 0 | 600 |
E 957 | Thaumatin | Keine Beschränkung | 400 | 2.000–3.000 |
E 959 | Neohesperidin DC | 5 | 0 | 400–600 |
E 960 | Steviolglycoside | 4 | 0 | 300 |
E 961 | Neotam | 4 | 0 | 7.000–13.000 |
E 962 | Aspartam-Acesulfamsalz | Keine Beschränkung | 0 | 350 |
E 969 | Advantam | 5 | 0 | 37.000 |
Hinweis für Aspartam und Aspartam-Acesulfam-Salz: Wurde eines der beiden Süßungsmittel zugesetzt, muss der Hersteller darauf hinweisen, dass das Lebensmittel eine Phenylalaninquelle enthält. Dieser Hinweis ist für Menschen mit der seltenen Stoffwechselkrankheit Phenylketonurie wichtig.
Für Zuckeraustauschstoffe gibt es keine Beschränkung der täglichen Aufnahmemenge. Allerdings muss bei einem Gewichtsanteil von über 10 Prozent des Gesamtprodukts der Warnhinweis „Kann bei übermäßigem Verzehr abführend wirken“ auf dem Etikett stehen.
Tabelle: In der EU zugelassene Zuckeraustauschstoffe
E-Nummer | Zuckeraustauschstoff | Kalorien [kcal/100 g] | Süßkraft [im Vergleich zu Saccharose] |
---|---|---|---|
E 420 | Sorbit | 240 | 60 % |
E 421 | Mannit | 240 | 60 % |
E 953 | Isomalt | 240 | 45 % |
E 965 | Maltit | 240 | 90 % |
E 966 | Lactit | 240 | 35 % |
E 967 | Xylit | 240 | 100 % |
E 968 | Erythrit | 20 | 75 % |
E 964 | Polyglycitolsirup | 240 | 60 % |
Ende 2019 hat die EFSA mit der Neubewertung der in der EU zugelassenen Süßungsmittel begonnen, die neue Risikoabschätzung aber noch nicht abgeschlossen (EFSA 2024).
Wird die Vorliebe für Süßes in der Kindheit geprägt?
Die Vorliebe für Süßes ist uns in die Wiege gelegt: Ein süßer Geschmack löst bei Säuglingen (körperliche) Ausdrücke von Wohlempfinden aus und stellt einen Anreiz dar, Nahrung aufzunehmen. So wirkt der süße Geschmack von Zuckern und Süßstoffen bei ihnen beruhigend (BfR 2023a, Menella et al. 2016). Auch ältere Kinder essen mehr, wenn ein Lebensmittel süß schmeckt. Dabei scheint nicht nur die Vorliebe für Süßes eine Rolle zu spielen. Süße Zutaten tragen auch dazu bei, unangenehme Geschmackswahrnehmungen zu überdecken, z. B. die von Bitterstoffen (Menella et al. 2016).
Mit zunehmendem Alter nimmt die Präferenz für Süßes zwar ab. Es ist aber unklar, ob eine stärkere Süßprägung in jungen Jahren den Verzehr von Zucker im Erwachsenenalter begünstigt, wie eine systematische Übersichtsarbeit zeigt. Einige Studien deuten darauf hin, dass die Vorliebe für Süßes kurzfristig reduziert wird, wenn Kinder einer höheren Süßgeschmacksexposition ausgesetzt waren. Klare Ergebnisse hinsichtlich möglicher Langzeiteffekte fehlen aber, daher wären weitere Langzeituntersuchungen hilfreich (Appleton et al. 2018).
Nach Auffassung des Max Rubner-Instituts (MRI) sollte nach Möglichkeit alles dazu getan werden, eine starke Süßprägung, vor allem in frühen Lebensjahren, zu vermeiden. Konkret heißt das: Die mit der schrittweisen Zuckerreduktion verbundene Abnahme des Süßgeschmacks von Lebensmitteln sollte nicht durch Süßungsmittel kompensiert werden. Allerdings räumt das MRI ein, dass es durchaus wissenschaftliche Studien mit Erwachsenen gibt, die zeigen, dass der Austausch von Zucker durch Süßungsmittel vorteilhaft ist. Denn Erwachsene profitieren nicht in gleicher Weise von einer Verminderung des Süßgeschmacks wie Kinder, da ihre Lebensmittelauswahl stärker durch andere Faktoren bestimmt wird (Deutscher Bundestag 2020).
In diesem Zusammenhang erscheint insbesondere der Einsatz nichtkalorischer Süßungsmittel bei süßen Getränken vorteilhaft, da sich hier Kalorien einsparen lassen. So tragen zuckerhaltige Getränke zu etwa 26 Prozent (Fruchtsäfte und Nektare) bzw. 12 Prozent (Limonaden) zur Zuckeraufnahme in Deutschland bei (Ernst et al. 2019). Anzumerken ist hier, dass Getränke weniger sättigen als feste Nahrungsmittel und daher die Aufnahme anderer kalorienhaltiger Lebensmittel weniger kompensieren. Zudem liefern insbesondere Limonaden viele „leere“ Kalorien und keine oder nur wenig essenzielle Nährstoffe, Vitamine oder Mineralstoffe.
Ist bereits der süße Geschmack stoffwechselrelevant?
Studien haben gezeigt, dass der Süß(geschmacks)rezeptor mit Signalwegen der Hunger-/Sättigungs- sowie Blutzuckerregulation interagiert (Meyer-Gerspach et al. 2018; Zopun et al. 2018; Behrens/Somoza 2020; Wilk et al. 2022). Daher ist denkbar, dass Süßstoffe die Energieaufnahme und den Blutzuckerspiegel durch die bloße Aktivierung des Rezeptors beeinflussen, obwohl sie (fast) kalorienfrei sind.
Ob aber bereits allein die geschmackliche Wahrnehmung von Süßstoffen zu einer veränderten Insulinausschüttung führt, die hungrig oder satt macht, ist nicht eindeutig zu beantworten. Bisherige Studien führten je nach Süßstoff zu unterschiedlichen Ergebnissen (Tucker/Tan 2017; Wilk et al. 2022).
Untersuchungen mit Saccharose (Kristallzucker) und Glucose (Traubenzucker) haben zudem gezeigt, dass weniger die wahrgenommene Süße die Energieaufnahme und Blutzuckerregulation beeinflusst. In diesen Studien war vielmehr die Bindungsstelle entscheidend, über die der jeweilige Zucker den Süß(geschmacks)rezeptor spezifisch aktivierte, wofür wiederum die molekulare Zuckerstruktur ausschlaggebend war (Schweiger et al. 2020; Grüneis et al. 2021). Welche Effekte die strukturell sehr diversen Süßstoffe diesbezüglich haben, ist noch ungeklärt.
Helfen Süßstoffe beim Abnehmen?
Aktuelle Ergebnisse der britischen SWITCH-Studie mit knapp 500 übergewichtigen Erwachsenen zeigen, dass der tägliche Konsum von mindestens zwei 330-ml-Portionen (nahezu) kalorienfreier Süßgetränke im Rahmen eines dreimonatigen verhaltensorientierten Gewichtsmanagementprogramms zu einer fast identischen Gewichtsabnahme führte wie das Trinken der gleichen Menge Wasser (Harrold et al. 2023).
Dennoch, systematische Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen geben bislang keine klare Antwort auf die Frage, ob Süßungsmittel beim Abnehmen helfen. Wie eine Meta-Analyse von Laviada-Molina et al. (2020) zeigt, nehmen (stark) übergewichtige Menschen ab, die keine Diät einhalten, wenn sie statt Zucker Süßstoffe konsumieren. Dagegen kommt eine systematische Literaturübersicht zu dem Schluss, dass Süßstoffe bei übergewichtigen/adipösen Erwachsenen oder Kindern keinen positiven Effekt haben, wenn es um eine Gewichtsreduktion geht (Toews et al. 2019). Allerdings hatten laut Aussage von Toews et al. die meisten der acht bzw. fünf in die systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse einbezogenen Studien vergleichsweise wenig Teilnehmende, waren von kurzer Dauer und die Qualität der Methodik und der Berichterstattung waren eher begrenzt.
Eine aktuellere systematische Übersichtsarbeit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bringt ebenso keine Klarheit (Rios-Leyvraz/Montez 2022). In dieser werteten die Forschenden die Daten von 283 randomisierten kontrollierten Studien (RCTs), prospektiven Kohorten-Studien und Fall-Kontroll-Studien aus. (Mehr Informationen zu Studientypen.) Wie die Ergebnisse dieser Studie zeigen, führte eine kurzfristig höhere Aufnahme von Süßstoffen in den RCTs bei Erwachsenen durchschnittlich zu einer leichten, jedoch statistisch signifikanten Verminderung des Körpergewichts um 0,71 kg. Dagegen war eine höhere Süßstoffaufnahme in den Beobachtungsstudien (prospektiven Kohortenstudien) mit einem um 76 Prozent erhöhten Risiko für Adipositas und einem leichten Anstieg des BMI um 0,14 kg/m2 verbunden.
Jedoch ist bei dieser Art Studien zu bedenken, dass Menschen, die auf ihr Gewicht achten müssen, oft Süßstoffe verwenden, sodass Ursache und Wirkung in diesem Zusammenhang mit Vorsicht zu interpretieren sind. Trotz dieser positiven Studienergebnisse der RCTs spricht sich die WHO gegen zuckerfreie Süßstoffe zur langfristigen Körpergewichtskontrolle aus (WHO 2023).
Zusammenhang zwischen Süßstoffen, Darmmikrobiom und Übergewicht
Die Studienergebnisse zum Zusammenhang zwischen dem Konsum von Süßungsmitteln, dem Darmmikrobiom und Übergewicht sind widersprüchlich (Pearlman et al. 2017). So haben zwei im Jahr 2019 erschienene Übersichtsarbeiten über 30 Studien zur Wirkung von Süßungsmitteln auf das Darmmikrobiom analysiert (Lobach et al. 2019 und Ruiz-Ojeda et al. 2019). Bei einem Großteil der betrachteten Studien handelte es sich um Tierstudien. Kritisiert wurden dabei sowohl die Methodik und das Design der meisten Studien als auch das Fehlen geeigneter Kontrollgruppen. Zudem lagen die in den Tierstudien verwendeten Süßstoffkonzentrationen oft weit über der für den Menschen jeweils zugelassenen Tagesdosis (ADI – Acceptable Daily Intake).
Lobach et al. (2019) kommen zu dem Ergebnis, dass die untersuchten Studien keinen eindeutigen Beweis für eine nachteilige Wirkung von Süßstoffen auf das Darmmikrobiom des Menschen erbringen. Sie führen Veränderungen im Darmmikrobiom vor allem auf eine veränderte Nahrungsaufnahme zurück.
Auch Klümpen und Simon (2022) kommen zu einem ähnlichen Schluss. Beide Autorinnen haben sich mit den Ergebnissen von vier RCTs auseinandergesetzt, welche die Effekte von Süßstoffen auf das menschliche Darmmikrobiom untersucht hatten. In drei dieser Studien konnten die Forschenden keinen Einfluss der Süßstoffeinnahme auf die Bakterienzusammensetzung im Darm feststellen. Dagegen kommt die vierte und jüngste Studie (Suez et al. 2022) zu dem Ergebnis, dass die vierzehntägige Einnahme von Saccharin (20 % der ADI) und Sucralose (34 % der ADI), aber nicht die von Aspartam (8% der ADI) und Stevia (75 % der ADI), zu einer mikrobiomabhängigen Verschlechterung der Glukosetoleranz führt. Alle vier Süßstoffe beeinflussten jedoch bei gesunden, normalgewichtigen Teilnehmenden sowohl das Mikrobiom im Mund als auch im Darm, wobei sie individuell sehr unterschiedlich reagierten.
Laut Klümpen und Simon unterliegt die Aussagekraft der vier von ihnen betrachteten Studien gewissen Einschränkungen: Die Studienzahl sei sehr klein und die Vergleichbarkeit durch unterschiedliche Studiendesigns begrenzt. Kritisch an der Studie von Suez et al. sei darüber hinaus die kleine Probandenzahl (120 Personen insgesamt und 20 Personen pro Interventionsgruppe), die fehlende Kontrolle und die Tatsache, dass weitere Einflussfaktoren wie die Ernährung nicht ausreichend berücksichtigt wurden.
Süßstoffe und Diabetes
Prinzipiell benötigen Menschen mit Diabetes keine speziellen Lebensmittel und können Zucker in Maßen konsumieren. Eine Aufnahme größerer Zuckermengen ist jedoch zu vermeiden, insbesondere über gezuckerte Getränke. Eine Analyse der Deutschen Diabetes-Studie zeigt, dass der tägliche Konsum zuckerhaltiger Getränke selbst in geringen Mengen die Insulinsensitivität beeinträchtigt und das Risiko einer Fettleber erhöht (Weber et al. 2018). Daher stellen nach dem „Leitfaden Ernährungstherapie in Klinik und Praxis für Menschen mit Diabetes“ (Hauner et al. 2019) und den „Empfehlungen zur Ernährung von Personen mit Diabetes mellitus Typ 2“ (Skurk et al. 2022) Süßstoffe eine Alternative zu Zucker dar.
Auch die Cochrane Collaboration hat den Nutzen von Süßstoffen im Zusammenhang mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes untersucht. Eine Übersichtsarbeit, die verschiedene Einzelstudien analysierte, fand weder Belege für einen positiven noch negativen Effekt hinsichtlich Körpergewicht oder HbA1c-Wert. (Der HbA1c-Wert spiegelt den durchschnittlichen Zuckergehalt im Blut in den letzten drei Monaten wider und ist für Menschen mit Diabetes ein wichtiger Kontrollwert für den Langzeitblutzucker.) Allerdings stufte die Cochrane Metabolic and Endocrine Disorders Group die Ergebnisse aller neun untersuchten Studien als nicht eindeutig ein (Lohner et al. 2020).
Gibt es einen Zusammenhang zwischen Süßstoffen und Krebs?
Zahlreiche Tier- und Humanstudien haben sich mit dem Thema Süßstoffaufnahme und Krebserkrankungen befasst – mit widersprüchlichen Ergebnissen. Aktuelle systematische Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen sind daher derzeit am besten geeignet, einen zusammenfassenden Überblick über den Erkenntnisstand zu geben:
Zwei Meta-Analysen (Yin et al. 2022; Yan et al. 2022) zeigen keinen klaren Zusammenhang zwischen dem Konsum von Süßstoffen und dem Gesamtrisiko für Krebs. Auch in der zuvor genannten WHO-Studie fanden die Forschenden nach Auswertung von 39 Fall-Kontroll-Studien und 9 prospektiven Kohortenstudien keinen signifikanten Zusammenhang zwischen einem erhöhten Konsum süßstoffhaltiger Getränke und Krebs (Rios-Leyvraz/Montez 2022).
Das Bundesinstitut für Risikobewertung weist in einer Stellungnahme (BfR 2023b) jedoch darauf hin, dass künftig auch toxikologische Kombinationswirkungen von Süßstoffen verstärkt untersucht werden sollten, da diese in ein und demselben Organ auftreten könnten, z. B. in der Niere und den ableitenden Harnwegen.
Aspartam und Krebs
Trotz wiederholter wissenschaftlicher Bewertungen steht insbesondere Aspartam immer wieder im Ruf, krebserregend zu sein. 2013 bestätigte die EFSA bei einer Sicherheitsbewertung die zuvor festgelegte sichere tägliche Aufnahmemenge (ADI – Acceptable Daily Intake) für Aspartam erneut: 40 mg Aspartam pro kg Körpergewicht. Diese Menge kann laut EFSA bedenkenlos ein Leben lang täglich konsumiert werden. Eine 70 kg schwere Person müsste täglich mehr als 17 Dosen Diätlimonade à 330 ml mit je 162 mg Aspartam trinken, um die ADI zu überschreiten – solange keine weitere Aufnahme aus anderen Nahrungsquellen (z. B. Kaugummi) vorliegt. Die vom BfR in Getränken ermittelte Aspartamhöchstmenge lag bei 492 mg/L (BfR 2023c).
2021 schlug der internationale Getränkeverband ICBA eine Risikobewertung durch den gemeinsamen „Sachverständigenausschuss für Lebensmittelzusatzstoffe“ der FAO und der WHO – JECFA – vor. Diese fand im Juni und Juli 2023 statt und berücksichtigte auch die Einschätzung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) in Bezug auf Aspartam. Letztere hatte den Süßstoff als „möglicherweise krebserzeugend beim Menschen“ eingestuft und somit in Kategorie 2B (IARC 2023).
Die IARC wies allerdings darauf hin, dass die Ergebnisse in den Studien auch durch andere Faktoren beeinflusst sein könnten. Auch in Bezug auf Tierstudien sieht die IARC aufgrund von Bedenken hinsichtlich Studiendesign, Interpretation und Berichterstattung der Daten nur begrenzte Beweise für eine potenziell krebserregende Wirkung von Aspartam (IARC/JECFA 2023).
Der JECFA kommt sogar zu dem Schluss, dass die tierexperimentellen Daten und Ergebnisse aus Humanstudien keinen Hinweis darauf geben, dass Aspartam bei Einhaltung der ADI Krebs verursachen könnte. Wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) auf seiner Webseite berichtet, betrachtet der Sachverständigenausschuss insbesondere die Methode zur Ermittlung der Aspartam-Exposition in epidemiologischen Studien kritisch. Außerdem weist er darauf hin, dass Aspartam im Magen-Darm-Trakt in die beiden Aminosäuren (Eiweißbausteine) Asparaginsäure und Phenylalanin sowie den Alkohol Methanol umgewandelt wird und nicht unverändert in den Blutkreislauf gelangt (BfR 2023d). Diese Stoffwechselprodukte werden ebenso durch den Verzehr normaler Lebensmittel aufgenommen. Beispielsweise ist Methanol auch natürlicherweise in Apfelsaft mit Konzentrationen von 4 bis 83 mg/L enthalten.
Das BfR und auch der Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) halten es auf Grundlage der aktuellen Forschungsergebnisse für unwahrscheinlich, dass Aspartam bei Einhaltung der ADI Erbgutschäden verursacht oder Krebs auslöst.
Saccharin und Blasenkrebs
Neben Aspartam ist auch Saccharin immer wieder im Gespräch, wenn es um Krebs geht. Ursächlich hierfür sind vermutlich ca. 30–40 Jahre alte Laborversuche an Ratten, in denen die Tiere, nachdem sie täglich 1.500 mg Saccharin pro kg Körpergewicht über das Futter aufgenommen hatten, vermehrt Blasentumore entwickelten (BfR 2023b). (Zum Vergleich: der ADI-Wert für Menschen liegt bei 5 mg/kg Körpergewicht.)
Wie Untersuchungen aus dem Jahr 1983 zeigen, ist nicht auszuschließen, dass Ratten deutlich empfindlicher auf Saccharin reagieren als andere Spezies. So zeigte ein Forschungsteam bereits 1983, dass tägliche Saccharingaben von über 2.500 mg/kg Körpergewicht bei Ratten, jedoch nicht bei Mäusen, Hamstern und Meerschweinchen, zu einem verstärkten Auftreten von Läsionen in der Harnblase und Veränderungen im Bereich der Harnwege führten (Fukushima et al. 1983). Daher sehen internationale Bewertungsgremien die im Tiermodell Ratte beobachteten Effekte als nicht relevant für die Beurteilung der gesundheitlichen Risiken beim Menschen an.
Eine aktuelle Studie der WHO, die auf der Auswertung von Fall-Kontroll-Studien basiert, stellte allerdings ein leicht erhöhtes Risiko für Blasenkrebs fest. Diese Risikoerhöhung wurde hauptsächlich mit dem Konsum von Saccharin in Verbindung gebracht, war aber nicht in prospektiven Kohortenstudien zu sehen (Rios-Leyvraz/Montez 2022).
Erklärung für Widersprüchlichkeiten bei der gesundheitlichen Bewertung von Süßstoffen
Zudem gibt es individuelle und speziesspezifische Unterschiede hinsichtlich der Rezeptoren, über welche die Süßungsmittel mit dem jeweiligen Organismus interagieren. Erschwerend kommt hinzu, dass heute noch wenig über die Funktion der Süß(geschmacks)rezeptoren bekannt ist, die sich außerhalb des Mundraums befinden, beispielsweise im Magen-Darm-Trakt, im Gehirn oder auf Zellen des Immunsystems (ZhuGe et al. 2020, Behrens et al. 2020). Diese wesentlichen Unterschiede finden bei der Auswertung von Studiendaten häufig wenig Beachtung, was einige der in den Studien oft beobachteten, widersprüchlichen Ergebnisse erklärt.
All diese wesentlichen Unterschiede finden bei der Auswertung von Studiendaten häufig wenig Beachtung, was einige der in den Studien oft beobachteten, widersprüchlichen Ergebnisse erklärt.
Nicht zuletzt könnten die widersprüchlichen Ergebnisse auch auf die Limitationen der jeweiligen Studienart zurückzuführen sein:
So lassen sich in randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) zwar direkte physiologische Effekte von Süßungsmitteln untersuchen. Langzeiteffekte hingegen nicht, und die Probandenzahlen solcher Studien sind recht klein. Zudem wären mehr RCTs hilfreich, in denen gängige Süßstoffkombinationen im Vergleich mit Zucker und nicht nur im Vergleich mit einem Placebo (wie Wasser) getestet werden: Auch Zucker beeinflusst den Stoffwechsel, das Körpergewicht und das Darmmikrobiom. Letztlich sollte es nicht nur bei den RCTs auch um die Frage gehen: Was ist schädlicher: Zucker/Kalorien oder Süßstoffe?
Fall-Kontroll-Studien haben unter anderem das Problem, dass sie retrospektiv (zurückschauend) sind. Dies kann zu Erinnerungsverzerrungen führen, da die Teilnehmenden sich möglicherweise nicht genau an die Aufnahme von Süßstoffen und die Art der Süßstoffe in der Vergangenheit erinnern. Ebenso ist die genaue zeitliche Abfolge von Exposition und Erkrankung in dieser Art Studien schwer zu ermitteln. Das macht es schwer, die Kausalität (die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung) zu bestimmen. Zudem kann die Auswahl von Fällen und Kontrollen zu einem sogenannten Selektionsbias führen, bei dem bestimmte Gruppen über- oder unterrepräsentiert sind.
Zu den Limitationen von prospektiven Kohortenstudien gehören zum Beispiel Ungenauigkeiten bei der Datenerhebung durch Selbstauskünfte der Teilnehmenden (misreporting), was die Aussagekraft der Studienergebnisse beeinträchtigen kann (Gottschald et al. 2016). Es ist also denkbar, dass der Widerspruch zwischen RCTs, Fall-Kontroll-Studien und Kohortenstudien – hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Süßstoffkonsum und einem erhöhten Körpergewicht – durch eine umgekehrte Kausalität (Ursache-Wirkungs-Beziehung) bei den Ergebnissen der Beobachtungsstudien zu erklären ist.
Letztendlich sollten die jeweiligen Limitierungen der Studienart bei der Interpretation der Ergebnisse immer berücksichtigt werden.
Fazit
Wasser ist zur Deckung des Flüssigkeitsbedarfs und damit als Getränk immer die beste Wahl. Insbesondere bei Kindern, um einer Gewöhnung an den süßen Geschmack (Süßprägung) entgegenzuwirken. Im Vergleich zu zuckerhaltigen Getränken sind nach derzeitigem Wissensstand für Erwachsene süßstoffhaltige Alternativen aber zumindest nicht schlechter: Süßstoffe verursachen im Gegensatz zu Zucker keine Karies und sind praktisch kalorienfrei. Ein Übermaß an Zucker kann zudem zu Übergewicht führen, das wiederum mit einem erhöhten Risiko für Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf- und bestimmten Krebserkrankungen verbunden ist. Für Erwachsene, die es gerne süß mögen, aber weniger Kalorien aufnehmen und/oder auf ihre Zahngesundheit achten wollen, stellen Süßungsmittel somit eine Alternative dar – insbesondere beim Konsum süßer Getränke.
Die durch Süßstoffe eingesparte Energie sollte allerdings nicht durch den Verzehr anderer Lebensmittel kompensiert werden. Dies gilt besonders für kalorienreduzierte Light-Produkte, bei denen Hersteller zusätzlich kalorienhaltige Zutaten verwenden, um ein akzeptables Geschmacksergebnis zu erzielen, das allein mit Süßstoffen nicht zu erreichen ist.
Besser schmeckende Süßstoffe oder ein effektiverer Einsatz derselben könnten künftig Light-Produkte nicht nur geschmacklich, sondern auch in energetischer Hinsicht deutlich verbessern. In diesem Zusammenhang besteht allerdings noch viel Forschungsbedarf, ebenso wie hinsichtlich der langfristigen gesundheitlichen Vor- und Nachteile von Süßstoffen und deren Kombinationen. Auch sind die molekularen Wechselwirkungen zwischen den unterschiedlichen Stoffklassen der Süßungsmittel, dem menschlichen Körper und seiner Darmmikrobiota bei weitem noch nicht hinreichend untersucht und verstanden.
Text und Recherche: Dr. Gisela Olias & Prof. Dr. Veronika Somoza
Mehr zu Süßstoffen
Nachweise
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BfR – Bundesinstitut für Risikobewertung (2023a): Süßungsmittel: Mehrheit der Studien bestätigt keine Gesundheitsbeeinträchtigung – allerdings ist die Studienlage unzureichend. Stellungnahme Nr. 004/2023 des BfR vom 07. Februar 2023 (Bewertungsstand 23. September 2019)
BfR – Bundesinstitut für Risikobewertung (2023b): Führen Mischungen mehrerer Süßungsmittel zu gesundheitlichen Risiken für den Menschen? Stellungnahme Nr. 005/2023
BfR – Bundesinstitut für Risikobewertung (2023c): Alternativen zu Zucker: Wie viel Süßungsmittel steckt in Erfrischungsgetränken? Stellungnahme Nr. 006/2023
BfR – Bundesinstitut für Risikobewertung (2023d): Süßungsmittel in Lebensmitteln – Ausgewählte Fragen und Antworten. Aktualisierte FAQ des BfR vom 14. Juli 2023
BfR – Bundesinstitut für Risikobewertung (2019): Süßstoff Sucralose: Beim Erhitzen von Lebensmitteln können gesundheitsschädliche Verbindungen entstehen. Stellungnahme Nr. 012/2019
BfR – Bundesinstitut für Risikobewertung (2014): Bewertung von Süßstoffen und Zuckeraustauschstoffen. Hintergrundinformation Nr. 025/2014
BMEL – Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2023): Deutschland, wie es isst – Der BMEL-Ernährungsreport 2023
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Stand: Februar 2024