Gemüse in einer Reihe mit spezieller Form, wie die Herzkartoffel oder die Tomate mit Horn, auf einem himmelblauen Hintergrund.

Die Debatte um Lebensmittelverschwendung

Warum landet eigentlich ein Drittel aller Lebensmittel weltweit im Müll statt auf dem Teller? Und was können die verschiedenen Akteure, vom Privathaushalt bis zur Politik, tun, um diese Verschwendung von wertvollen Ressourcen zu reduzieren?

Wir haben Expertinnen und Experten diese Fragen gestellt – und Antworten erhalten.


Inhalt


Lebensmittelverschwendung ist Teil unserer Konsumkultur

Professorin Ute Weisz, TU München

Prof. Dr. Melanie Eva-Maria Speck

Professorin für Sozioökonomie in Haushalt und Betrieb

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Foto: Manfred Pollert

Warum ist es so schwer, Lebensmittelverschwendung zu reduzieren?

In zwei Sätzen zusammengefasst: Wir haben eine Ernährungsumgebung im Handel oder in der Gastronomie, die auf Konsum angelegt ist; die zum Teil sogar Verschwendung erzeugen will oder zumindest eine dauerhafte Verfügbarkeit suggeriert. Und gleichzeitig kommunizieren wir: Jeder und jede Einzelne ist verantwortlich; kümmert euch, ihr verschwendet zu viel. Aus meiner Sicht wird den Einzelnen zu viel Verantwortung zugemutet.

Ich sehe unterschiedliche Ebenen, an denen wir ansetzen sollten:

  • Der größte gemeinsame Nenner ist die komplette Wertschöpfungskette. Es gibt sehr viele Mechanismen die Pro-Lebensmittelabfall wirken. Unser Ernährungssystem ist nicht darauf ausgerichtet, dass es zu Verzichtssituationen kommt; Lebensmittelverschwendung ist Teil unserer Konsumkultur. Es kommt beispielsweise vor, dass der Handel Bestellungen, die gerade nicht gebraucht werden, gar nicht abnimmt und direkt zur Tafel umleitet. Wenn ich Input reduziere – also weniger in das System gebe –, dann wird auch weniger Output rauskommen, also auch weniger Abfall.
  • Die zweite Ebene ist die Gemeinschaftsgastronomie. In der Regel sind es dort die einfachsten Lösungen, die helfen: Die Portionsgröße anpassen und mit einer Nachschlagsregelung arbeiten. Es gibt auch Betriebe, die erfolgreich mit Positivanreizen die Tellerreste reduzieren, indem die Gäste zum Beispiel einen Bonus erhalten, wenn sie keine Essensreste zurückgeben. Das muss gut kommuniziert werden, man darf aber gleichzeitig nicht zu viel Kommunikationsarbeit von einzelnen Bediensteten in der Küche und an der Ausgabe verlangen.
  • Der dritte Punkt ist der Umgang mit Lebensmittelweitergabe. Der Bürgerrat „Ernährung im Wandel“, den ich als wissenschaftliche Beirätin begleitet habe, möchte, dass jeder Supermarkt ab einer gewissen Größe Lebensmittel weitergeben muss, wenn sie nicht gebraucht werden. Da sind noch Haftungsfragen juristisch zu klären, aber auch die organisatorische Frage ist offen, denn die ehrenamtlich-arbeitenden Tafeln beispielsweise können eine Aufgabe dieser Größenordnung nicht leisten. In einigen Bundesländern entstehen gerade Verteilzentren, also zentrale Anlaufpunkte, wo Produzenten Überschüsse oder falsch deklarierte Ware ohne großen organisatorischen Aufwand anliefern können. Wenn also eine Lebensmittelweitergabe in dieser Form realisiert werden soll, dann braucht es hier noch mehr dieser Anlaufpunkte.

Wie kann man die Menschen motivieren, weniger Lebensmittel zu verschwenden?

Ich will eigentlich nicht die einzelnen Menschen motivieren, weil ich den Eindruck habe, dass es die Leute überlastet. Die Kommunikation läuft im Moment vor allem über das schlechte Gewissen und „Ich sage dir, was du besser machen musst“. Da kommt so viel Gegenwehr, das funktioniert nicht. Die Hebel, die wir haben, sind effektiver an anderen Stellen.

Ich wünsche mir, dass man Anreize entlang der Wertschöpfungskette erzeugt, die dazu führen, dass Lebensmittelabfälle reduziert werden, und dass nicht mehr nur die ökonomische Perspektive entscheidet. Die Spendenpflicht für den Handel halte ich für einen guten Ansatz. Es gibt auch ein System für die Großgastronomie: Es scannt die Teller, und wer keine Reste hat, erhält einen Bonus – das muss nicht viel sein, es soll nur sensibilisieren.

Möglicherweise zwingt uns das System auch einfach irgendwann dazu, mit Missernten und Versorgungsengpässen umzugehen. Zu Beginn des Ukrainekrieges und während der Energiekrise hat man gesehen: Das System kann sich anpassen, es wurde sofort weniger bestellt. Es ging nicht mehr darum, dass alle Regale immer voll sind, sondern es ging mehr darum: Was wird gekauft und was ist da? Das System kann das; tut es aber nicht, wenn es nicht muss.  


Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit können Hand in Hand gehen

Professorin Ute Weisz, TU München

Torsten von Borstel

Geschäftsführer von United Against Waste e.V.

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Worauf kommt es bei der Reduktion von Lebensmittelverschwendung an?

Bei der Reduktion von Lebensmittelverschwendung kommt es vor allem auf eines an: Daten. Nur mit fundierten Informationen darüber, wo und wie viele Lebensmittelabfälle in den verschiedenen Bereichen entstehen – von der Primärproduktion über Verarbeitung, Handel, Außer-Haus-Verpflegung bis hin zu privaten Haushalten – können gezielte Maßnahmen ergriffen werden.

Obwohl allgemein bekannt ist, dass private Haushalte in absoluten Zahlen die meisten Lebensmittel verschwenden, ist das Problem in der Außer-Haus-Verpflegung nicht weniger gravierend. Der entscheidende Unterschied: Während es schwierig ist, die Bevölkerung zu einem bewussteren Umgang mit Lebensmitteln zu bewegen, besteht in gastronomischen Betrieben die Chance, durch datenbasierte Prozesse und gezielte Maßnahmen Lebensmittelabfälle deutlich zu reduzieren.

Die Notwendigkeit einer fundierten Datengrundlage

2012 begann der Verein United Against Waste e. V., Daten zur Lebensmittelverschwendung in der Außer-Haus-Verpflegung zu sammeln. Mit mehr als 1.300 Analysen wurden spezifische Informationen darüber gewonnen, wo im Küchenprozess Lebensmittelabfälle entstehen: Von der Bestellung über die Lagerung und Verarbeitung bis hin zur Ausgabe. Nur durch die Erfassung dieser Daten lassen sich maßgeschneiderte Lösungen für individuelle Betriebe entwickeln – sei es ein Frühstücksbuffet im Hotel oder die Verpflegung in einem Krankenhaus. Angefangen von Betriebsrestaurants, Kliniken, Senioreneinrichtungen, Hotellerie bis hin zur Kita & Schulverpflegung gibt es keine Pauschallösungen, da die Betriebe zu unterschiedlich sind.

Der 5-Schritte-Plan zur Reduktion von Lebensmittelabfällen

Eine im Auftrag des BMEL (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) entwickelte Methode hilft dabei, Lebensmittelabfälle in verschiedenen gastronomischen Betrieben zu erfassen und zu reduzieren.

Dieser 5-Schritte-Plan umfasst:

  1. Maßnahmen dokumentieren: Die Ergebnisse der Umsetzung festhalten, um Erfolge zu prüfen und Anpassungen vorzunehmen.
  2. Messen: Ermittlung der Lebensmittelabfälle, Ermittlung der Messzeiträume
  3. Maßnahmen ableiten: Auf Grundlage der Daten spezifische Maßnahmen entwickeln.
  4. Maßnahmen umsetzen: Die abgeleiteten Maßnahmen im Küchenprozess integrieren.
  5. Maßnahmen kommunizieren: Das Team und andere relevante Akteure über die neuen Prozesse informieren.

Die Herausforderung: Handeln statt abwarten

Trotz klarer Lösungen bleibt die Herausforderung, dass die Prioritäten der Betriebe oft woanders liegen. Dabei ist der größte Anreiz für viele die Kosteneinsparung: Eine Reduktion der Lebensmittelabfälle um ca. 30 % könnte einem Krankenhaus mit 300 Betten 50.000 bis 80.000 Euro pro Jahr einsparen. Diese Zahl verdeutlicht, dass Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit Hand in Hand gehen können.

Der Verein hat ein starkes Fundament mit Durchschnittszahlen und Maßnahmen erarbeitet. Nun liegt es an den Betrieben, diese Lösungen konsequent umzusetzen. Schließlich bringt der vegetarische, regionale Bio-Burger nichts, wenn er am Ende im Müll landet – das Machen entscheidet.


Den Genuss und die Wertschätzung für Lebensmittel in den Vordergrund stellen!

Professorin Ute Weisz, TU München

Lina Maria Echeverri-Roeder

Mitbegründerin von Circular Munich

Kontakt

Wer kann was gegen Lebensmittelverschwendung tun?  

Jeder kann etwas tun. Wir vom Verein „Circular Munich“ betrachten die Wertschöpfungskette als Kreislauf; nicht linear jede Stufe für sich, also Einkauf, Lager, Produktion, Ausgabe, Rücklauf, Weiternutzung. Unser Ziel ist, die einzelnen Akteurinnen und Akteure miteinander zu vernetzen und damit eine neue Denkweise anzustoßen – besonders in Großküchen, weil die eine Schlüsselrolle spielen.

  • Am meisten kann man in der Küche tun: Wie plant man Menüs so, dass weniger Reste entstehen und wie nutzt man diese Reste weiter? Oft ist es ja so: Schnitzel mit Pommes und alles andere wird nicht benötigt; da fehlt in den Küchen häufig der kreative Umgang mit Zutaten und Resten. Die Mitarbeitenden bringen die Kreativität und Liebe für ihre Arbeit meistens mit, aber durch den hohen Druck ist dafür wenig Raum.
  • Wie kann man die Reste weiternutzen – können die Angestellten etwas mitnehmen, geht es an die Tafel oder muss es in die Kompostieranlage?
  • Die Kommunikation mit dem Einkauf und dem Lager ist wichtig: Wie sollen die Produkte für die bestehenden Lagermöglichkeiten verpackt sein? Was passiert mit Restbeständen?
  • Lieferanten und Produzenten können ihren Beitrag leisten, z. B. mit durchdachten Verpackungen oder Ernteinformationen.
  • Auf der Speisekarte kann man erzählen, wie gekocht wird und mit welchen Produkten.
  • Verschiedene Portionsgrößen verringern Lebensmittelabfall.
  • Kundinnen und Kunden können so bestellen, dass sie möglichst alles aufessen; vielleicht können sie auch vorbestellen für eine bedarfsgerechte Planung.

Mit einer Münchner Betriebskantine haben wir ein Pilotprojekt gestartet: dort analysieren wir den Kreislauf und suchen die Verbesserungsmöglichkeiten – das Interesse im ganzen Unternehmen ist riesig, obwohl wir eigentlich nur mit dem Küchenteam zusammenarbeiten. Wir glauben, dass auch die Mitarbeiterbindung mindestens in der Küche sich verbessern wird: weil die Leute neue Sachen lernen, mehr Spaß an der Arbeit haben und die Wertschätzung nicht nur für Lebensmittel,  sondern insgesamt im Team steigt.

Was hindert Einrichtungen daran, was zu tun?

Dass wir den Prozess nicht als Ganzes betrachten, ist das größte Hindernis. Die Leute müssen miteinander reden. Der Einkauf muss wissen, wie sollen die Produkte verpackt sein, damit sie im Lager gut aufbewahrt werden können. Den Produzentinnen und Produzenten hilft eine Rückmeldung, was sie in der nächsten Saison anbauen sollen. Plattformen wie Wirt sucht Bauer sind total hilfreich, aber leider noch zu selten.

Deshalb wollen wir im Projekt konkret für München herausfinden: Welche Akteure, Anbieterinnen und Dienstleister gibt es? Welchen Bedarf haben die? Wie können wir sie vernetzen? Wo sind Community Kitchens, die Lebensmittel abnehmen, die noch verzehrbar sind? Gibt es Biogasanlagen oder Kompostanlagen in der Nähe? Auch neue Tools, z. B. KI-gestützte Planungssysteme, können helfen.

Wie schafft man es, die Leute zu begeistern und mitzunehmen?

Jede von uns muss jeden Tag essen. Oft gehen wir in ein Café, ein Restaurant, eine Kantine oder ähnliches … Wenn dort ein wertschätzender Umgang mit Lebensmitteln gelebt wird, kann das etwas verändern. Da wird auch das Kraut von der Möhre benutzt oder die produzieren aus Resten ihre eigene Gemüsebrühe – das kann ich zu Hause doch auch machen.

Hilfreich ist außerdem, bewusst zu machen: Man zahlt für die ganze Karotte, aber nutzt nur die Hälfte – das sind Euros, die verloren gehen! Das gilt für eine Familie genauso wie für ein Restaurant oder jedes andere Unternehmen.

Am wichtigsten ist aber, den Genuss und die Wertschätzung für Lebensmittel in den Vordergrund zu stellen – nicht das schlechte Gewissen!  Es muss Spaß machen und langsam zur Selbstverständlichkeit werden.

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Titelbild: senatamaka.panthermedia.net

Stand: September 2024

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